Süddeutsche Zeitung

Bad Reichenhaller Stadtrat:Für das Kraftwerk - und dagegen

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Von Matthias Köpf, Bad Reichenhall

Die Einschätzung klingt eindeutig: Das geplante Kraftwerk bedeute für die Kur- und Alpenstadt einen erheblichen Eingriff in das Landschaftsgefüge. Seine energiewirtschaftliche Bedeutung sei relativ gering, zugleich sei es mit langfristigen Eingriffen in ein Gebiet im unmittelbaren Nahbereich städtischer Kur- und Erholungseinrichtungen verbunden, wo ein Alpenfluss mit allen Sinnen erlebt werden könne. Dies durch eine Wasserkraftanlage zu ersetzen, zeuge von geringer Sensibilität auch gegenüber den Wünschen der Bevölkerung.

Die Bad Reichenhaller Stadträte wunderten sich ziemlich über dieses Schreiben, das ihnen das Büro von Oberbürgermeister Herbert Lackner (CSU) als Beschlussvorlage für diesen Dienstag übermittelt hatte. Schließlich ist das Projekt, das da demontiert wird, ein Vorhaben der eigenen Stadtwerke. Irgendwann wunderte sich offenbar auch Lackner, denn es folgte eine neue Version ohne den ausdrücklichen Verriss. Die Gegner des Vorhabens sehen sich trotzdem bestätigt.

So hat die "Saalach-Allianz" aus 15 Naturschutzverbänden, Fischereivereinen und Wassersportklubs schon laut über eine Klage gegen das Kraftwerk nachgedacht, das die Stadtwerke zusammen mit den Bayerischen Landeskraftwerken seit mehreren Jahren planen. Für die Stadtwerke wäre es der Einstieg in die eigene Stromproduktion, doch für die landesweite Stromversorgung bliebe ein Kraftwerk dieser Größe nahezu bedeutungslos.

Der Reichenhaller Stadtrat, der nun die formelle Stellungnahme zu dem Projekt beschließen soll, hat sich in einer Grundsatzentscheidung vor vier Jahren mit großer Mehrheit für das Kraftwerk ausgesprochen. Entstehen soll es an einer Rampe, die in den 1960er-Jahren gebaut worden war, um die Folgen eines anderen Wasserkraftwerks abzumildern. Denn direkt oberhalb von Bad Reichenhall wird seit mehr als 100 Jahren Strom für die Eisenbahn produziert. Die Staumauer hält auch den Kies zurück, den der Fluss sonst mit sich führen würde. Als Folge grub er sich immer tiefer in sein Bett, was dann durch den Bau der Nonner Rampe verhindert werden sollte.

Die Stadtwerke wollen die vorhandene Rampe nun für die Energieerzeugung nutzen und versprechen ein modernes, fischfreundliches Kraftwerk, dessen Turbinen in zwei beweglich gelagerten Stahlgehäusen im Fluss hängen und von ihm überspült werden sollen. Die Kritiker befürchten trotzdem, dass an den meisten Tagen kein Wasser mehr über die Rampe strömen wird, sondern nur noch über die ebenfalls geplante neue Fischtreppe. Dafür werde der Rückstau schlimmstenfalls Grundwasser in die Keller drücken sowie einen Trinkwasserbrunnen und sogar manche Solequellen gefährden, denen die Stadt ihre historische Bedeutung verdankt.

Sollte ein Gutachten ergeben, dass Brunnen und Quellen bedroht seien, dann werde man nicht unbedingt an den Kraftwerksplänen festhalten, sagt Gerhard Fuchs. Er ist Fraktionssprecher der Freien Wähler, die sich bisher klar für das Kraftwerk ausgesprochen hatten. Michael Nürbauer, der als Parteiloser für die Grünen im Stadtrat sitzt, ist einer von den wenigen Räten, die immer schon gegen das Kraftwerk waren. Er hätte seine Bedenken kaum besser zusammenfassen können, als dies in der ersten Beschlussvorlage geschehen sei, sagt Nürbauer. "Ein Platz mit Postkartenidylle" werde da zerstört - für ein Kraftwerk, das lediglich Strom für nicht einmal 1900 Haushalte produzieren kann. Die beiden Versionen der Beschlussvorlage zeigen für Nürbauer, wie OB Lackner mit den Stadträten umgehe - "eine Frechheit", nennt er das.

Die Erklärung aus dem Rathaus für die zwei Versionen lautet, man sei mit dem neuen Informationssystem erst "in der Eingewöhnungsphase" und habe versehentlich ein nicht abgestimmtes Dokument verschickt. Lackners CSU kann die Panne mit Freude verfolgen, denn der Ortsverband hat dem OB das Vertrauen entzogen und als Kandidaten für die Wahl 2020 den jungen Ortsvorsitzenden Christoph Lung nominiert. Lackner will mit einer eigenen Liste antreten. Dass sich die beiden am Ende in einer Stichwahl gegenüber stehen, ist gerade wahrscheinlicher geworden, denn der gemeinsame OB-Kandidat von Freien Wählern, Grünen, SPD, und FDP trat aus privaten Gründen zurück.

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SZ vom 17.09.2019
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