Süddeutsche Zeitung

Bad Aibling:Fahrdienstleiter nach Zugunglück: "Die Kacke ist jetzt richtig am Dampfen"

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Von Matthias Köpf

Wie konnte das passieren? Diese Frage stellt sich neun Monate nach dem tödlichen Zugunglück von Bad Aibling an diesem Montag vor dem Landgericht Traunstein. Am zweiten Verhandlungstag gegen den damaligen Fahrdienstleiter, der wegen fahrlässiger Tötung in zwölf und fahrlässiger Körperverletzung in 89 Fällen angeklagt ist, sollen vor allem Zeugen von der Deutschen Bahn (DB) aussagen.

Wie konnte das passieren? Der Kollege aus der Notfall-Leitstelle der DB in München hatte dem Angeklagten diese Frage schon wenige Minuten nach dem Unfall am Telefon gestellt. So berichtete er es als Zeuge vor Gericht. Das schrille Alarmsignal des vergeblichen Notrufs aus Bad Aibling sei auch in der Notfall-Leitstelle in München zu hören gewesen, doch habe er dem zunächst keine große Bedeutung beigemessen, weil es sich eben an die Fahrdienstleiter richte. Außerdem ertönen solche Alarme in München mehrmals am Tag, weil immer wieder auch Probenotrufe ausgelöst würden.

Der Angeklagte hatte der DB-Notfallleitstelle am Morgen des 9. Februar das gesagt, was er später auch vor Gericht am ersten Prozesstag gestanden hatte: dass er zwei gegenläufige Züge auf die eingleisige Strecke geschickt hatte. Dass es eine Kollision gegeben hatte, wusste der Mitarbeiter in der Notfallleitstelle schon von der Rettungsleitstelle und von der Einsatzzentrale der Polizei.

Auch der Fahrdienstleiter, der am Unglückstag Dienst im benachbarten Stellwerk in Bruckmühl hatte, hat an dem Morgen mit dem Angeklagten telefoniert. Zunächst habe er diesem routinemäßig den Zug Richtung Rosenheim übergeben. Später war er einer von denen, die der Notruf mit dem sofortigen Haltebefehl an die Züge erreichte. Bei den Lokführern kam dieser Funkspruch aber nicht an, weil der Angeklagte laut den Vorwürfen der Staatsanwaltschaft am Funkgerät die falsche Taste gedrückt hat.

Später noch einmal ein Anruf aus dem Bad Aiblinger Stellwerk: "Die Kacke ist jetzt richtig am Dampfen", soll der Kollege da gesagt haben. So geht es aus dem Gedächtnisprotokoll hervor, das der Fahrdienstleiter in Bruckmühl am Abend des Unglückstages angefertigt hat. Der Kollege in Bad Aibling habe da von einer Störung gesprochen, wegen der er dem Zug Richtung Rosenheim manuell mit Sondersignalen freie Fahrt gegeben habe. Das normale Signal ließ sich jedoch in Wirklichkeit deswegen nicht auf Grün stellen, weil der Angeklagte zuvor schon dem Gegenzug ein grünes Fahrsignal gegeben hatte.

Um einen Notruf abzusetzen, muss ein Fahrdienstleiter im Bad Aiblinger Stellwerk erst die Notruftaste gedrückt halten und sich dann am Display für den Strecken- oder den Zugnotruf entscheiden. So beschrieb es der Fahrdienstleiter dem Gericht, der am Unglückstag in Bruckmühl war. "Ich persönlich finde, es sollte eine einfachere Lösung geben als dieses Zwei-Tasten-System", sagte der Zeuge - zumal ein Fahrdienstleiter einen Streckennotruf höchstens empfange, aber niemals selbst absetze.

Der fehlerhafte und vergebliche Notruf aus Bad Aibling war jedoch genau so ein Streckennotruf, der in den Zügen nicht ankommt. Zudem zeigte sich, dass es mit der Freisprechfunktion des Funkgeräts zumindest zeitweise technische Probleme gegeben hat und eine sichere Bedienung nur gewährleistet war, wenn der Fahrdienstleiter den Hörer benutzt hat.

Die Deutsche Bahn hat ihren Mitarbeitern für die Zeugenaussage jeweils Anwälte zur Seite gestellt. Die Bahn-Tochter DB-Netz AG ist für die Infrastruktur wie die Gleise und das Stellwerk verantwortlich. Die beiden kollidierten Meridian-Regionalzüge gehörten zur privaten Bayerischen Oberlandbahn. Die Verteidiger und auch die Nebenklage-Vertreter werden versuchen, einem oder beiden Unternehmen eine Mitverantwortung an dem Unglück anzulasten, um das Strafmaß für den Angeklagten zu verringern und die Wahrscheinlichkeit für nennenswerte Summen an Schadenersatz und Schmerzensgeld zu erhöhen.

Wie die schon am ersten Prozesstag eingestandenen Fehler des Fahrdienstleiters damit zusammenhängen, dass der Angeklagte an dem Unglücksmorgen im Dienst auf seinem Handy ein Online-Spiel gespielt hat, muss der weitere Prozessverlauf ergeben. Den ursprünglich für den zweiten Prozesstag erwarteten Zeugen aus der Entwicklerfirma des Spiels, der zum genauen Verlauf der Spieleaktionen an diesem Morgen Auskunft geben soll, hat das Gericht für einen späteren Verhandlungstag geladen. Das Spielen solcher Handy-Spiele im Dienst sei ganz klar verboten, versicherten auch Kollegen das Angeklagten.

Auf dieser Nebenstrecke zwischen Holzkirchen und Rosenheim fahren die Züge höchstens im Halb-Stunden-Takt. Es gebe für Fahrdienstleiter immer wieder auch Phasen mit Leerlauf. Man warte dann eben, bis der nächste Zug kommt, sagte der Fahrdienstleiter aus Bruckmühl. "Das kann schon mal langweilig werden." Der Angeklagte selbst hat seine Verteidiger schon am ersten Prozesstag ankündigen lassen, dass er zu den Vorwürfen nicht selbst aussagen werde. Das Urteil soll am 5. Dezember fallen.

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