Süddeutsche Zeitung

Arbeitsgericht:Gefeuert wegen zwölf Toilettenbons

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Von Christian Rost, Augsburg

Nicht nur auf der Autobahn soll es schnell vorangehen, sondern auch bei der Pause an der Raststätte. Die Zeit für einen Kaffee oder einen Imbiss ist knapp bemessen, die Reisenden wollen rasch weiter. Wenn sich in Stoßzeiten ganze Reisebusladungen in die Raststätten ergießen, kommt das Personal gehörig ins Schwitzen. Den Trubel soll eine Mitarbeiterin der Raststätte Augsburg Ost genutzt haben, um an der Kasse zwölf Toiletten-Wertbons im Gesamtwert von sechs Euro zu unterschlagen. Deswegen jedenfalls wurde ihr fristlos gekündigt. Die Gewerkschaft Nahrung Genuss Gaststätten (NGG) hält den Kündigungsgrund für vorgeschoben und ist entsetzt über das Vorgehen von "Tank & Rast", der Betreiberin der Raststätte.

Bei den Tank- und Snackstationen an den Autobahnen gibt es nichts umsonst, im Gegenteil, auch für den Toilettengang müssen die Reisenden zahlen. Dafür bekommen sie einen Bon im Wert von 50 Cent, den sie beim Einkauf in der Raststätte einlösen können. Die Mitarbeiter an den Kassen sind angehalten, die eingelösten Wertbons sofort in einem Schredder zu vernichten, damit sie nicht mehrmals genutzt werden.

An einem Tag im Mai 2016 herrschte an der Autobahnraststätte Augsburg Ost aber ein dermaßen großer Andrang, dass die Kassiererin mit dem Tippen kaum hinterher kam. Wie Tim Lubecki, Regionsgeschäftsführer der NGG in Schwaben, berichtet, habe die Frau die Bons aus Zeitgründen einfach zur Seite gelegt, um sie später gesammelt zu vernichten. Den Gesamtbetrag von sechs Euro bonierte sie dann auch in der Kasse, damit der Kassenbestand wieder stimmte. Ein Kunde bekam das mit, wunderte sich und informierte die Geschäftsführung von "Tank & Rast". Damit war die Angestellte nach 15 Jahren Mitarbeit ihren Job los.

Seit einem Dreivierteljahr wehrt sie sich nun schon gegen den Vorwurf der Unterschlagung und die fristlose Kündigung. Den Fall verhandelt das Augsburger Arbeitsgericht am 31. Januar. Ein Abfindungsangebot von "Tank und Rast" in Höhe von 30 000 Euro habe sie abgelehnt, weil die Frau Anfang 50 befürchte, keinen anderen Job mehr zu finden, sagt Lubecki. Dass die ehemalige Mitarbeiterin einen derart hohen Betrag angeboten bekommen habe, sei ungewöhnlich, so der Gewerkschafter. Er glaubt auch den Grund zu kennen: Die Betreibergesellschaft wolle die Mitarbeiterin unbedingt loswerden. Sie sei, so Lubecki weiter, eine der Altbeschäftigten, die noch nach besseren Tarifverträgen bezahlt würden und zumeist 12,46 Euro brutto in der Stunde bekämen.

Neu eingestellte Beschäftigte verdienten kaum mehr als den gesetzlichen Mindestlohn von 8,84 Euro brutto in der Stunde, weshalb "Tank & Rast" sich der Altbeschäftigten entledigen wolle. Das Unternehmen wies dies am Mittwoch auf Anfrage "mit Nachdruck" zurück. Über das Vorgehen gegen die Kassiererin ist Lubecki fassungslos: "Die Anschuldigungen sind völlig an den Haaren herbeigezogen", sagt er und ist überzeugt, dass sie die Klage auf Wiedereinstellung gewinnen wird. Die NGG will die Klägerin mit einer Demonstration vor dem Gerichtsgebäude moralisch unterstützten.

Die NGG wirft "Tank & Rast" vor, "trotz gepfefferter Preise nur Niedriglöhne" zu zahlen. Es zeige sich, dass die Privatisierung der ehemals bundeseigenen Rasthöfe im Jahr 1998 ein großer Fehler gewesen sei, so Lubecki. "Die Zeche zahlen letztlich die Autofahrer, die für jeden Toilettengang zur Kasse gebeten werden, sowie die Pächter und die Beschäftigten in den Raststätten."

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Quelle:
SZ vom 26.01.2017
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