Süddeutsche Zeitung

Urteil im VW-Dieselskandal:"Das hat mir gutgetan"

Lesezeit: 4 min

Norbert Flother gehört zu den Klägern, die gegen VW bis vor den BGH gezogen sind. Dabei hat er einiges durchgemacht.

Von Peter Fahrenholz

Als am vergangenen Montag der Bundesgerichtshof (BGH) das erste Urteil im VW-Dieselskandal fällte, saß Norbert Flother gespannt vor dem Fernseher und sah sich bei Phönix die Liveübertragung an. Der 55-jährige Beamte aus Ockenfels ist selbst einer derjenigen, die mit ihrer Einzelklage bis zum BGH gegangen sind. Wäre sein Verfahren in den beiden Vorinstanzen nicht wegen der Erkrankungen von Richtern verschoben worden, wäre Flother möglicherweise der erste gewesen, über dessen Klage der BGH entschieden hätte.

"Das hat richtig gut getan, das war eine Wohltat", sagt Flother über das BGH-Urteil, das nicht nur in der Sache, sondern auch vom Ton her eine schallende Ohrfeige für VW war. Wann erlebt man schon, dass einem mächtigen Konzern vom Gericht bescheinigt wird, sittenwidrig gehandelt zu haben? Ein Konzern, der stets bestritten hat, dass den Kunden, die einen der Schummel-Diesel gekauft hatten, überhaupt ein Schaden entstanden ist. Und dessen Anwalt in der Verhandlung vor dem BGH die Kläger mit ihrem Anspruch auf Schadenersatz gar als "Wegelagerer" bezeichnet hatte. Schon möglich, dass die Richter auch wegen der ruppigen und arroganten Strategie, mit der VW die Ansprüche der geschädigten Kunden jahrelang abzuschmettern versucht hat, so deutliche Worte gefunden haben.

Auch Flother hat diesen rüden Umgang zu spüren bekommen, aber er hat sich weder einschüchtern noch abwimmeln lassen. "Für mich war klar, ich ziehe das durch", sagt er. Seine eigene Klage zurückzuziehen, um sich der Musterfeststellungsklage gegen VW anzuschließen, wäre für ihn "ein Rückschritt" gewesen.

Als Norbert Flother im März 2011 seinen VW Golf GTD als Jahreswagen mit knapp 13 000 Kilometern auf dem Tacho für 25 700 Euro kauft, ist der Dieselskandal noch weit entfernt, niemand ahnt, dass im Motor eine Manipulationssoftware verbaut ist, die dafür sorgt, dass die Abgasreinigung nur auf dem Prüfstand wie vorgesehen läuft. Im Gegenteil, der GTD mit seinen 170 PS, von VW nach einer Pause wieder ins Programm genommen, ist damals ein begehrtes Auto, "eine Alternative für Vielfahrer, die keinen GTI wollten", sagt Flother. Als die Manipulationen im September 2015 auffliegen, ist Flother "total geschockt", fährt sein Auto aber weiter. Nach ein paar Monaten bekommt er die Aufforderung, ein Softwareupdate durchführen zu lassen, er hat schon einen Termin beim Händler, als ihm ein fachkundiger Freund rät: "Lass das mal lieber sein."

Im Internet kursieren zu diesem Zeitpunkt schon längst Berichte, wonach die Autos nach dem Update schlechter laufen oder sogar liegen bleiben. Auch einem Kollegen von Flother passiert das, ausgerechnet im Frankreich-Urlaub. Fünf Mal wird Flother von VW aufgefordert, das Update endlich durchführen zu lassen, er ignoriert die Schreiben. Erst als auch das Kraftfahrtbundesamt (KBA) damit droht, dass das Auto sonst die Zulassung verliert, lässt Flother das Update Ende 2018 machen und fährt danach noch etwa 4000 Kilometer mit dem Wagen. "Ich hatte immer ein komisches Gefühl dabei", sagt er. Im März 2019 meldet er seinen Diesel schließlich ab, seither steht das Auto unter einer roten Plane in der Garage einer Nachbarin, mit einem Kilometerstand von 144 229.

VW macht Druck und bietet einen Vergleich an

Seine Klage gegen VW läuft da längst, Flother hat sie schon im November 2017 beim Landgericht Koblenz eingereicht. Er will VW zwingen, das Auto zurückzunehmen und ihm das Geld abzüglich der bisher erfolgten Nutzung zurückzuzahlen. In erster Instanz gewinnt er. VW müsse das Auto zurücknehmen, entscheiden die Richter. Doch der Konzern wehrt sich, wie in allen diesen Fällen. In der Berufung vor dem Oberlandesgericht sieht es für Flother nicht mehr so gut aus, der Richter, so sein Eindruck, steht mehr auf Seiten von VW. Das Urteil werde schlechter ausfallen als in der Vorinstanz, sagt der Richter. Flother wird unter Druck gesetzt, einen Vergleich zu akzeptieren, man bietet ihm 20 000 Euro für sein Auto.

Möglicherweise, sagt Flother heute, hätte er den Vorschlag sogar akzeptiert, aber die VW-Anwälte verlangen, er müsse noch im Gerichtssaal sein Einverständnis erklären. Seine Bitte um etwas Bedenkzeit lehnt die VW-Seite rundheraus ab, daraufhin verweigert Flother seine Zustimmung. "Da waren die stinksauer", erinnert er sich. Einer der Anwälte droht ihm, das werde ihm noch leidtun.

Flother wird von den VW-Vertretern mit allen möglichen Fragen zu den Motiven seines Autokaufs traktiert. Im schriftlichen Urteil heißt es in der Zusammenfassung des Vortrags der Beklagten, also der VW-Seite: "Weiter bestreitet sie, dass der Kläger bei Kenntnis der Manipulation vom Kauf des Fahrzeugs Abstand genommen hätte." Flother empfindet den Auftritt der VW-Seite noch heute als "unverschämt". Er sagt: "Das war unter aller Kanone."

Und jetzt? Wird sein Verfahren vor dem BGH überhaupt noch stattfinden, nachdem VW angekündigt hat, sich mit den verbliebenen Klägern rasch einigen zu wollen? Der Konzern steht hier unter Zeitdruck. Denn anders als im Verfahren des ersten Klägers Herbert Gilbert hat Norbert Flother, wie andere Kläger, VW auch auf die Zahlung sogenannter Deliktzinsen verklagt, die auf Basis der ursprünglichen Kaufsumme vom Tag des Kaufs an berechnet werden. Sollte der BGH auch in dieser Frage, die von den Gerichten bisher unterschiedlich entschieden worden ist, verbraucherfreundlich urteilen, könnte das für VW die Entschädigungssumme enorm nach oben treiben. Flother sieht die Sache gelassen. "Mir wäre das ganz recht, wenn die auf mich zukämen."

Nachdem er sein Auto abgemeldet hat, hat sich Flother wieder einen VW Diesel zugelegt, "dummerweise", wie er sagt. Ein Nachbar hat ihm den verkauft, es ist ein Golf 7, ohne den alten Schummelmotor. Aber möglicherweise auch einer, der noch Probleme machen könnte. Denn auf europäischer Ebene steht demnächst ein Urteil über die Zulässigkeit der sogenannten Thermofenster an. Noch mal einen VW? "Das würde ich heute nicht mehr machen", sagt Norbert Flother, "auch wegen des Verhaltens von VW."

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SZ vom 30.05.2020
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