Süddeutsche Zeitung

Testphase des Google Car:Mensch gegen Maschine

Lesezeit: 3 min

Von Felix Reek

Angeblich will Google mit seinem autonom fahrenden Auto nicht weniger als die Welt verbessern. Der Verkehr soll besser fließen und Menschen sollen mehr Zeit für die wichtigen Dinge in ihrem Leben haben, auch im Auto. "Wir wollen unseren Nutzern ermöglichen, das zu tun, was sie tun wollen", sagte Chris Urmson im Interview mit der Zeit. Er leitet die Abteilung zur Entwicklung des Google Cars.

Das zu tun, was man will, sei zum Beispiel, mit den Kindern zu spielen, im Internet zu surfen oder Mails zu verschicken. Die Dinge also, die während der Fahrt oft heimlich auf dem Smartphone erledigt werden, weil sie in vielen Ländern nicht erlaubt sind. Verbote helfen laut Urmson, den Google für sein ambitioniertes Projekt 2009 von der Carnegie-Mellon-Universität in Pittsburgh abwarb, nur wenig. Es sei so wie bei der Prohibition: Es werde eben heimlich getrunken, beziehungsweise getippt.

Das autonome Auto soll die Lösung sein: Es verschaffe den "Fahrern" wieder mehr Freiraum. Und soll die Straßen sicherer machen. Allein schon dadurch, dass es sich derart programmieren lässt, dass es sich strikt an alle Verkehrsregeln hält. Die Vision eines unfallfreien Straßenverkehrs könnte damit Wirklichkeit werden, dessen ist sich nicht nur Urmson sicher.

Der Mensch baut die Unfälle

2,7 Millionen Testkilometer haben seine Google Cars bisher zurückgelegt. 16 Unfälle gab es während der Testfahrten, alle seien von Menschen verursacht worden. Den letzten Crash gab es am 20. August, als sich das Auto einem Fußgängerüberweg samt Passanten näherte. Es verzögerte zwar, aber nach Ansicht des Mannes hinter dem Steuer nicht stark genug. Er bremste zusätzlich, wodurch das nachfolgende Auto mit dem Google Car kollidierte. Ein klassischer Auffahrunfall, den das Computerfahrzeug offenbar kommen sah. Es bremste wohl deshalb sanfter als sonst in vergleichbaren Situationen, um mehr Platz zu schaffen, damit das hinterherfahrende Auto noch rechtzeitig zum Stehen kommen kann.

Das zeigt, welche Variable dem IT-Konzern im Straßenverkehr die größten Probleme bereitet: der Mensch. Weil er sich nicht zwangsläufig an die Verkehrsregeln hält. Weil er im nachfolgenden Auto dichter auffährt als es ein anderes computergesteuertes Fahrzeug tun würde. Weil es ihm passieren kann, dass er einen Unfall verursacht, indem er einen anderen verhindern möchte.

Je weniger Variablen vorhanden sind, umso besser funktioniert das autonome Fahren schon heute. Für Autobahnen haben viele Hersteller Staupiloten in ihre Fahrzeuge integriert. Sie bremsen und beschleunigen automatisch, Sensoren überprüfen permanent den Abstand zum Vorausfahrenden. Hier gibt es aber nur zwei bis vier Spuren, keine Kreuzungen, alle Verkehrsteilnehmer fahren in eine Richtung. Die Herausforderung für das Google Car und seine Konkurrenten liegt in der Stadt: das Zusammentreffen von Fußgängern, Radfahrern und Autos. Wo die vielen Eindrücke und unübersichtlichen Situationen einen Computer überfordern können.

Auch die Autos von Google waren in manchen Situationen überfordert. Etwa in einer Situation, als sich ein Exemplar einer roten Ampel näherte. Die Sensoren auf dem Dach erkannten, dass sich ein Fahrzeug aus der Gegenrichtung schnell näherte. Der eigenen Programmierung zufolge eigentlich zu schnell, um noch rechtzeitig vor der in diese Richtung ebenfalls rot leuchtenden Ampel zum Stehen zu kommen. Also wich das Google Car nach rechts aus, um einen Unfall zu vermeiden, den es gar nicht gegeben hätte. Denn der andere Verkehrsteilnehmer tat das, was viele Autofahrer tun: sich nicht vorsichtig einer roten Ampel nähern, sondern erst kurz davor stark bremsen.

Das Google Car verhält sich nicht menschlich. Es wartet etwa brav an einer gleichrangigen Kreuzung, wenn sich Autos aus anderen Richtungen nähern, wie eine Szene aus dem Jahr 2009 zeigt. Dadurch geht das autonome Auto sicher, dass es auch wirklich freie Fahrt hat. Den meisten Autofahrern dauert das zu lange. In der Szene nutzten sie das Zögern des Roboterautos zu ihrem Vorteil und fuhren los. Das Google Car blieb verwirrt zurück - und die ganze Zeit auf der Stelle stehen.

Das Problem: Ein Computer kann nur schwer interpretieren. Zu viel passiert im alltäglichen Verkehr im direkten Kontakt von Mensch zu Mensch. Autofahrer gewähren durch einen Wink anderen die Vorfahrt, Fußgänger signalisieren durch Blicke, dass sie nicht die Ampel überqueren. Der Rechner kann die Verkehrsregeln nur auf eine Art auslegen, nämlich seiner Programmierung folgend. Ein Mensch kann das auf vielfältige Weise - nicht immer muss das weniger sicher sein.

Google Car soll "Aggressivität lernen"

Das lässt den Schluss zu, dass ein computergesteuertes Auto nur in einer Welt unter seinesgleichen perfekt funktioniert: einem vollkommen automatisierten Verkehr. Ob es diesen je geben wird, ist trotz aller Bemühungen der Auto- und IT-Industrie nach heutigem Wissensstand fraglich. Das Google Car muss also noch eine lange Zeit mit dem Menschen im Straßenverkehr koexistieren.

Eine Lösung für diese scheinbare Unvereinbarkeit von Mensch und Maschine auf der Straße haben weder Befürworter noch Kritiker des autonomen Fahrens. Donald Norman, Direktor des Design Labs an der Universität San Diego, etwa ist der Ansicht, dass das Google Car für den heutigen Straßenverkehr "zu sicher" ist. Es müsse "Aggressivität im passenden Maße lernen". Dmitri Dolgov, Leiter der Software-Abteilung des Google-Projekts, sagt in der New York Times, dass Autofahrer sich "weniger idiotisch" benehmen müssen.

Zumindest Letzteres wäre ab und zu wünschenswert.

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