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Rennrad-Vergleich BMC gegen Stevens:Wie viel Aufpreis rechtfertigt eine glanzvolle Aura?

Lesezeit: 4 min

Muss ein Rennrad über eine ruhmreiche Geschichte verfügen oder reicht auch technische Vernunft, um zu begeistern? Zwei Modelle für den Wettkampf im Vergleich.

Von Sebastian Herrmann

Der Reiz einer Rennradtour liegt auch darin, mit den Begleitern über Räder zu quatschen. Meistens drehen sich die Diskussionen um Modelle, die im Pulk mitrollen oder die auf irgendeine Art auf dem stets prall gefüllten Wunschzettel eines Fahrers aufgetaucht sind. Irgendein aktuelles Rennrad steht immer im Zentrum des Begehrens. Das hat sehr viel mit Schwärmerei und sehr wenig mit Vernunft zu tun. Es wird gelabert und geträumt - welches Rennrad es würde, wenn das Konto nur ausreichend gefüllt wäre, was für welches Modell spricht und was selbst als Träumerei obszön wirkt. Ein Großteil dieser Diskussionen klingt wie die Suche nach einer Rechtfertigung für einen Kauf, der nie getätigt wird. Oft taucht das Argument auf, ein Rad müsse Geschichte haben, für etwas stehen: Es geht also um Prestige, darum, dass ein Rennrad über ein Aura verfügt. Aber muss das sein? Beflügelt ein technisch ebenbürtiges Rad ohne preislichen Nimbus-Aufschlag einen Fahrer vielleicht stärker?

Das BMC Teammachine ist ein Rennrad, das die Geschichte großer Siege erzählt. Auf dem Modell des Schweizer Premium-Herstellers hat der Australier Cadel Evans 2011 die Tour de France gewonnen. Der belgische Fahrer Greg van Avermaet siegte 2016 darauf beim olympischen Straßenrennen in Rio de Janeiro, er gewann auf einer Teammachine Etappen der Tour de France und Paris-Roubaix, das größte aller Eintagesrennen. Alleine diese paar Erfolge und Namen versehen das Rad aus der Schweiz für Rennrad-Nerds mit magischem Glanz. Wenn nur die überaus saftigen Preise nicht wären, die für diese Räder aufgerufen werden: Die SLR-Modell-Varianten (das Profimaterial) kosten mit Scheibenbremsen in der Einstiegsversion mit mechanischer Shimano-Ultegra-Schaltung 4999 Euro und steigen in den High-End-Ausstattungsvarianten in unglaubliche Regionen jenseits der 10 000 Euro. Eine magische Aura zeichnet sich wohl auch dadurch aus, dass sie für die meisten Menschen auf ewig unerreichbar bleibt.

Für das Modell Comet des Hamburger Herstellers Stevens werden im Vergleich weitaus weniger schwindelerregende Preise aufgerufen. Dieser Renner ist mit Scheibenbremsen in der einfachsten Ausstattungsvariante ab 3099 Euro zu haben und auch in den Premium-Versionen deutlich günstiger als das Teammachine. Dafür leuchtet die Aura dieses Rades weniger hell: Einzig der Name Mathieu van der Poel verknüpft sich mit dem Comet. Klangvolle Siege hat er auf der Straße erst in diesem Jahr errungen, etwa beim Amstel Gold Race, im Gelände wurde er zweimal Cyclocross Weltmeister - alle diese Erfolge gewann er aber nicht auf einem Stevens Comet. Ein großer Sportler, aber noch kein ganz großer Name, der sich auch nur flüchtig mit dem Hamburger Rennrad verknüpft.

"Stevens", sagt also ein Rennradkumpel bei einer Ausfahrt, "die habe ich immer nicht so auf dem Schirm, die sehen so brav aus." Der Rahmen des Comet wirkt in der Tat sehr traditionell, die Sitzstreben treffen an das Ende des Oberrohrs, der Sattel wird einer herkömmlichen Klemme gehalten. Die Gabel des Comet ist ganz leicht nach vorne in Fahrtrichtung gekrümmt. Die Form des Rahmens gibt dem Rennrad aus Hamburg eine Ästhetik, die nicht allzu leidenschaftliche Bewunderung weckt.

Das BMC Teammachine wirkt im Vergleich streng geometrisch. Die Sitzstreben setzen deutlich unterhalb des Oberrohrs am Sattelrohr an, eine Formgebung, die BMC vor einiger Zeit mit eingeführt hat. Mittlerweile setzen die meisten Premium-Hersteller auf diese Variante - weil sich so offenbar der Komfort auf dem Rad verbessern lässt und Erschütterungen ein klitzekleines bisschen weniger spürbar werden. Auch die Gabel des Teammachine ist zackig gerade, das Rad wirkt wie mit dem Geodreieck gezeichnet.

In der Ausstattungsvariante mit der kabellosen elektrischen Funkschaltung Sram Red eTap sieht das BMC fast irritierend nackt aus. Auch die Leitungen der hydraulischen Scheibenbremsen haben die Schweizer Ingenieure vollständig verborgen: Sie verschwinden im Vorbau und werden so durch den Rahmen geführt, dass sie erst wenige Zentimeter vor der Bremse wieder auftauchen und die bemerkenswert klare Optik fast gar nicht beeinträchtigen. Das Teammachine ist wie eine Aktzeichnung in Karbon, klar und begehrenswert. Die Bremsleitungen des Stevens Comet liegen unterhalb des Lenkers für ein Stück frei. Erst dann werden sie in die Gabel oder das Unterrohr für die hintere Bremse geführt. So sieht die Comet-Modellvariante mit der Sram eTap Schaltung im Vergleich minimal unruhiger aus, ein Eindruck, der sich durch die im Vergleich üppigen Schriftzüge verstärkt.

Die Sitzposition auf dem Comet ist sportlich, fällt aber etwas komfortabler aus als auf dem Teammachine. Auf dem BMC fährt der Rennradler leicht gestreckter, in einer minimal aggressiveren Haltung. Zugleich rollt sich das Rad aus der Schweiz vom Eindruck her ein klein wenig ruhiger. Das Comet wirkt wendiger, ein bisschen weniger gutmütig. Wobei diese Eindrücke immer trügerisch sind: Beide Räder fahren sich fantastisch, direkt und rasant - erst im unmittelbaren Vergleich ergibt sich der Eindruck winziger Unterschiede. Am ehesten: Das BMC bietet etwas mehr Komfort als das leicht härtere Stevens. Beide getesteten Sram-eTap-Disc-Bremsen-Versionen wiegen knapp über sieben Kilogramm. Auf Aerodynamik legen beide Wettkampfräder keinen primären Wert.

Erst im unmittelbaren Vergleich lassen sich minimale Unterschiede im Fahrgefühl identifizieren

Welches dieser beiden Renner das Auserwählte werden würde? Echte Macken sind kaum zu identifizieren, allenfalls winzige Schönheitsfehler: Das vordere Bremskabel des Stevens ist so geführt, dass es einen weißen Schriftzug am Steuerrohr berührt und bei längerem Gebrauch etwas verkratzen wird. Am BMC ist das Schaltauge mit einer arg kleinen Schraube befestigt, die sich ein bisschen zu leicht lockern könnte. Am Ende wecken beide Räder Sehnsüchte, beides sind herrliche Geschosse. Eines davon ließe sich leichter rechtfertigen, das andere sieht noch besser aus und verfügt über den helleren Schein. Viel Stoff, um auf Rennradtouren mit den befreundeten Nerds darüber zu quatschen, ohne sich je abschließend zu einigen.

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Quelle:
SZ vom 11.05.2019
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