Süddeutsche Zeitung

50 Jahre Porsche Typ 917:Zwölf Zylinder für den Sieg

Lesezeit: 5 min

1969 brachte Porsche seinen berühmtesten Rennwagen an den Start, den 917. Die Fahrer liebten das Auto. Oder sie fürchteten es, denn der Seriensieger war bei hohem Tempo kaum zu beherrschen.

Von Peter Fahrenholz

Der Lärm ist ohrenbetäubend, intensiver Benzingeruch liegt in der Luft. Ein Porsche-Mitarbeiter betätigt das Gasgestänge am offenen Motor und treibt die Leerlaufdrehzahl immer wieder nach oben. Der Zwölfzylinder röhrt mit voller Kraft. "Der Ton war das geilste, da kam ja alles hinten raus, was drin war", hat der ehemalige Rennfahrer Kurt Ahrens einmal über das Auto gesagt, das auf dem Porsche-Werksgelände in Weissach ehrfürchtige Blicke erntet. Denn dort steht ein Monument der Porsche-Geschichte, oder besser gesagt der Rückbau eines Monuments in seinen Ursprungszustand: der erste Porsche 917 aus dem Jahr 1969. Ein Auto, mit dem Porsche Rennsportgeschichte geschrieben hat und über das Ferndinand Piëch später gesagt hat, es sei "das größte Risiko meines Lebens" gewesen.

Piëch ist in jenen Jahren der Motorsportchef von Porsche und davon überzeugt, dass sportliche Erfolge die beste Werbebotschaft für die Marke Porsche sind. Zwar fahren die Porsche-Rennautos in jenen Jahren immer mal wieder einzelne Siege ein, doch Piëchs Ziel ist die Markenweltmeisterschaft und der Gesamtsieg bei den prestigeträchtigen 24 Stunden von Le Mans.

Bei den Fahrern hieß er "das Geschwür"

Im Jahr 1968 hat Porsche mit dem Sportprototyp 908 ein potenzielles Siegerauto, dass die neu eingeführte Hubraumobergrenze von drei Litern für diese Klasse einhält. Zugleich legt die internationale Rennkommission aber für die Sportwagenklasse vier einen Maximalhubraum von fünf Litern fest und senkt die Mindestfertigungszahl für einen zulassungsfähigen Rennwagen von 50 auf 25 Exemplare. Piëch ahnt, dass damit schon bald weit leistungsstärkere Konkurrenten am Start sein werden und dass auch Porsche ein völlig neues, deutlich stärkeres Auto braucht.

Was dann folgt, ist aus heutiger Sicht völlig unbegreiflich, wenn man weiß, wie lang die Entwicklungszyklen für neue Autos sind. Piëch beauftragt seinen Chefkonstrukteur Hans Mezger im Frühjahr 1968 mit Bau eines neuen Zwölfzylinder-Motors mit knapp fünf Litern Hubraum. Zielvorgabe ist: Das Auto soll im März 1969 auf dem Genfer Autosalon präsentiert werden und im gleichen Jahr am 24-Stunden-Rennen von Le Mans Mitte Juni teilnehmen. "Zwölfzylinder war natürlich eine Herausforderung", erinnert sich Gerhard Küchle, einer der Mechaniker von damals, "so einen Motor hatten wir noch nie gebaut." Das Projekt beginnt unter höchster Geheimhaltung, denn niemand sollte von der Entwicklung eines neuen Supersportwagens bei Porsche erfahren.

Es werden insgesamt 13 Arbeitsgruppen mit 45 Mechanikern für die verschiedenen Aufgaben gebildet. Es geht ja nicht nur um einen einzelnen Prototypen, sondern es müssen 24 weitere Autos in Handarbeit gebaut werden, um die für die Homologation verlangte Zahl von 25 Wagen zu erreichen. Die Homologation ist im Motorsport die Voraussetzung, um an Rennen teilnehmen zu dürfen. Die Arbeitsbedingungen erinnern eher an ein heutiges Start-up. Nur wenig kann aus irgendeinem Regal genommen werden, vieles muss selbst entwickelt und gefertigt werden. "Immer wieder haben Teile gefehlt", erzählt Ex-Mechaniker Küchle, "da gehst heim und machst Mittag, hat es dann geheißen, und dann kommst wieder."

Aber das Projekt elektrisiert alle, es wird praktisch ohne Pausen gearbeitet. "Frau Piëch hat den Leuten selber das Essen gebracht", sagt Astrid Böttinger, die Sprecherin des Porsche-Museums. Die 25 Motoren werden innerhalb von 14 Tagen zusammengebaut. Der in Auftrag gegebene, nur 45 Kilogramm schwere Aluminium-Gitterrohrrahmen ist Ende Januar fertig und muss dann mit dem Glasfaser-Chassis verklebt werden. Am Abend des 10. März 1969 ist der erste Porsche 917 mit der Seriennummer 001 schließlich fertig und wird sofort nach Genf tranpostiert, wo er am 12. März präsentiert wird.

Unterdessen arbeiten die Mechaniker an den restlichen 24 Exemplaren, die die Rennkommission für die Homologation verlangt. Sauber aufgereiht stehen sie schließlich am 21. April 1969 auf dem Hof von Werk 1 in Stuttgart-Zuffenhausen. Eigentlich ist der Parkplatz für Führungskräfte reserviert. Doch die werden von Piëchs Sekretärin angerufen und gebeten, ihre Autos wegzufahren. Damit die Fluchtlinie auch wirklich millimetergenau stimmt, wird vorher eine Schnur gespannt. Die Abnahme durch die Rennkommission bedeutet nicht, dass man mit einem der Prototypen eine echte Proberunde drehen muss. Es reicht, dass sie fahrbereit sind, also der Motor anspringt und man ein paar Meter damit fahren kann. Weil der Zeitdruck so groß war, sind in einigen Exemplaren Wasserrohre statt der notwendigen Federn eingebaut.

Nun steht der Wagen zwar da, aber es stellt sich rasch heraus, dass er praktisch unfahrbar ist. "Das einzige, was damals richtig geklappt hat, war der Motor", sagt Kurt Ahrens, "alles andere war Spitz auf Knopf gemacht." Der heute 79-jährige Ahrens hat den 917 seinerzeit auf dem Nürburgring getestet. "In der vierten Runde kam mir das Frühstück hoch und ich habe die Sitze vollgekotzt", erzählt Ahrens. Bei Vollgasfahrten kommt die Plexiglasscheibe über dem Motor hoch, das Bremspedal wird so heiß, dass die Fahrer Asbestschuhe tragen müssen.

Es wird gebastelt und geschraubt, um den Wagen zu stabilisieren. Und tatsächlich geht Porsche am 14. Juni mit vier Langheckversionen des 917 in Le Mans an den Start. Lange sieht es nach einem Sieg aus. "Wir waren mit dem 917 ein ganze Hauseck schneller als die Konkurrenz, und der Motor lief wie ein Uhrwerk", erinnert sich Chefkonstrukteur Hans Mezger. Doch dann reißt das Getriebegehäuse, ein anderer Schwachpunkt des Autos, und der in Führung liegende Porsche mit den Fahrern Vic Elford und Richard Attwood fällt aus. Ein Vergnügen kann das Rennen für die Fahrer nicht gewesen sein. Kurt Ahrens, der zusammen mit dem 1983 tödlich verunglückten Rolf Stommelen einen der anderen 917-er fährt, beschreibt das in einem Buch später so: "Der reinste Horror. Auto schwänzelt extrem ab 350, Heck steigt beim harten Bremsen hoch, Rolf und ich haben bei etwa 380 Gas weggenommen." Der 917 spaltet das Porsche-Fahrerlager von Anfang an, er bekommt dort den Beinamen "das Geschwür". Die einen verdammen ihn, die anderen vergöttern ihn. "Der 917 trennt Weltklasse- von Amateurfahrern", resümiert Vic Elford. Kurt Ahrens hatte bei Fahrten im 917 immer ein kleines Handtuch dabei, um sich den Schweiß von der Stirn zu wischen. Dass Ahrens 1970 mit nur 30 Jahren seine Karriere als Rennfahrer beendete, hat womöglich auch mit einem spektakulären Unfall mit einem 917 zu tun. Ahrens war während einer Testfahrt bei Aquaplaning mit Tempo 250 in die Leitplanken gekracht, blieb aber unverletzt.

In den Jahren 1970 und 1971 gewinnt Porsche mit den Kurzheckversionen des 917 endlich in Le Mans, und Derivate des 917, die mit Turbomotoren bis zu 1000 PS erreichten, waren in den Jahren danach auch in der amerikanischen CanAm-Serie sehr erfolgreich. 1975 wurde der 917 letztmals bei Rennen eingesetzt.

Und der 917-001, der in Weissach so laut vor sich hinröhrt? Der wurde nie bei Rennen eingesetzt, sondern war immer nur ein Test- und Präsentationsfahrzeug. Dabei wurde er mehrfach umgebaut und umlackiert. Doch für den 50. Geburtstag des 917, der noch bis 14. September mit einer großen Ausstellung im Porsche-Museum gefeiert wird, wollte man den Wagen im Originalzustand von 1969. Der Ur-917er wird in der Ausstellung mit neun weiteren 917-Exemplaren gezeigt. Heute würde man vermutlich sofort ein oder zwei Exemplare eines derartigen Autos für das eigene Museum abzweigen. Doch damals war Porsche finanziell eher schwach auf der Brust, die 24 anderen Prototypen wurden umgebaut oder landeten in irgendwelchen Milliardärsgaragen.

Also hat man den 001 so weit es ging in den Originalzustand zurückversetzt und das war fast so aufwendig wie der eigentliche Bau im Jahr 1969. Auch der Zeitdruck war ähnlich groß, denn der Wagen sollte bis zum Jubiläumsjahr fertig werden. Mehr als ein Jahr wurde daran gearbeitet, dabei hat man nicht nur auf die alten Konstruktionszeichnungen zurückgegriffen, sondern auch die ehemaligen Techniker und Ingenieure aus dem Projekt-Team von damals zu Rate gezogen. Und die haben mit ihrer Erinnerung nachgeholfen, wenn die Pläne nicht weiterhalfen. "Die Alten hatten bei allem Recht", sagt Alexander Klein vom Porsche-Museum über das Restaurierungsprojekt.

Der restaurierte 001-er kann nicht nur im Stand ein Höllenspektakel machen, er fährt auch, und zwar verdammt schnell. Kein Wunder, der Originalmotor ist ja lediglich knapp 350 Kilometer gelaufen. Also dreht der ehemalige Porsche-Werksfahrer Marc Lieb, 39, Langstrecken-Weltmeister von 2016, bei der Präsentation in Weissach mit dem historischen Gefährt einige Runden auf dem Porsche-Testparcours. Lieb scheint eher zu den 917-Fans zu gehören, denn er steigt mit einem breiten Grinsen aus dem Auto. "Das Auto ist wunderbar zu fahren, sagt er anschließend, "das einzige, was gewöhnungsbedürftig ist, ist die Bremse."

Bei der Wahl von Liebs Vornamen hatte sein Vater auch den US-Formel-1-Fahrer Mark Donohue im Kopf, der 1975 bei der Aufwärmrunde zum Großen Preis von Österreich tödlich verunglückte. Und der hat über den Porsche 917 einmal gesagt: "Für mich ist es das perfekte Rennauto."

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SZ vom 06.07.2019
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