Süddeutsche Zeitung

Alte Schätzchen:Das muss man bei der Oldtimer-Pflege beachten

Lesezeit: 4 min

Autos mit H-Kennzeichen müssen sorgfältig gepflegt werden, um nicht zu verfallen. Aber man sollte es nicht übertreiben, sonst droht der Verlust des Kennzeichens.

Von Steve Przybilla

Ein Auto, das ist für Günther Glahn mehr als nur Mittel zum Zweck. Was für andere ein Transportmittel ist, mit dem sie möglichst schnell von A nach B kommen, ist für Glahn eine rollende Persönlichkeit: weiches, warmes Leder, glänzendes Chrom, funkelnder Lack. "Ein Automobil ist etwas Schönes", sagt der 54-Jährige, der in Schallstadt bei Freiburg eine kleine Werkstatt betreibt. Fast wehmütig blickt er auf seinen BMW 321, Baujahr 1938, der draußen vor der Tür parkt: "Wie einfach damals alles war. Das war noch richtiges Autofahren."

Glahn hat sich auf die Pflege von Oldtimern spezialisiert. Genauer gesagt: auf die Innenausstattung. In seinem Ein-Mann-Betrieb versucht er zu retten, was zu retten ist. Er reinigt abgelatschte Teppichböden, ersetzt zerrissene Türverkleidungen, reibt sprödes Leder ein. Immer darauf bedacht, den historischen Schätzchen neues Leben einzuhauchen. "Meist geht es dabei um durchgesessene Sitze", erzählt der Restaurateur. Besonders freut es ihn, wenn seine Kunden seine Hingabe zu altem Blech teilen. "Manche der Autos, die ich hier habe, sind über 80 Jahre alt - und viele von ihnen sind sehr gut erhalten."

Mit der klassischen Autowerkstatt hat Günter Glahns Arbeitsbereich nur wenig gemeinsam. Dort sieht es eher aus wie in einem Atelier. Auf dem Tisch steht eine Nähmaschine, im Hintergrund baumeln Farbmuster wie im Möbelhaus. Eine Kollektion von Druckknöpfen, Reißverschlüssen und Spezialschrauben lagert säuberlich sortiert in einzelnen Schubladen. Und dann dieser Duft: Leder in allen Farben und Formen. Richtig gepflegt können diese Materialien lange halten. Sehr lange.

Der gelernte Autosattler weiß aber auch, dass selbst die hochwertigsten Oldies irgendwann verfallen - vor allem dann, wenn ihre Besitzer unbedacht mit ihnen umgehen, sie in der prallen Sonne parken oder über frisch gestreute Straßen jagen wie einen neuzeitlichen Pick-up-Truck. Mal sind es kaputte Sonnenblenden, ein anderes Mal Risse im Armaturenbrett oder Flecken auf dem Sitz. Die Gemeinsamkeit: Fast immer sind die Oberflächen mit Leder überzogen. "Es gibt immer mehr Menschen, die an den Klassikern Gefallen finden", sagt Glahn und zeigt auf die Türverkleidung eines Mercedes SL aus dem Jahre 1954. Das rote Rindsleder sieht fleckig aus. Trotzdem wäre es für den Müll zu schade. "Ich werde es schonend reinigen und versuchen, den Originalzustand wiederherzustellen."

Viele Oldtimer haben Charisma - solange nicht Kuhfelle die ursprünglichen Ledersitze zieren

Bestehendes retten statt wegwerfen: Das ist nicht nur Glahns Philosophie, sondern eine Grundannahme der Oldtimer-Pflege. Viele Arbeiten können die Besitzer selbst erledigen. So empfiehlt der Automobilclub AvD, Türgummis und Dichtungen regelmäßig mit schonenden Pflegemitteln zu behandeln. Generell sollten alte Autos nicht zu lange in der Sonne stehen, damit die betagten Stoff- und Lederbezüge nicht ausbleichen. Bei der Reinigung sollte man immer behutsam und mit möglichst wenig Druck vorgehen. Und Putzmittel immer erst an einer verdeckten Stelle prüfen.

Auch Zierteile aus Chrom, Aluminium, Messing oder Edelstahl sollten regelmäßig mit einschlägigen Pflegemitteln behandelt werden. Bei Oberflächen, die bereits in Mitleidenschaft gezogen wurden, ist jedoch besondere Vorsicht geboten: So könnten Chrom-Schichten, die sich bereits lösen, im schlimmsten Fall komplett zerstört werden. "Bei Politur und Pflege mit möglichst geringem Druck arbeiten", rät deshalb der Automobilverband. "Schimmert das Chrom bereits gelblich, hilft meist nur noch ein Gang zum Galvanisier-Betrieb."

All das kann schnell teuer werden. "Viele denken, ein Auto bestehe nur aus zwei Sitzen", meint Oldie-Experte Günther Glahn. "Wenn ich ihnen dann erzähle, dass ich mehrere Monate an ihrem Auto arbeite, fallen sie aus allen Wolken." Allein die Restauration eines einzelnen Sitzes könne bis zu 1600 Euro kosten. Die Kosten für eine komplette Innenausstattung (inklusive Verdeck) beliefen sich bei ihm auf 8000 bis 35 000 Euro. "Es kommt ganz darauf an, was gewünscht wird und wie aufwendig die Arbeiten sind", sagt Glahn. "Und wie teuer die Materialien sind."

Im Gegensatz zu den heutigen Fahrzeugen, in deren Sitzen vorwiegend leichte Kunstfasern verbaut sind, kamen bei Oldtimern diverse Naturmaterialien zum Einsatz. Die sind langlebig und edel, haben aber ihre ganz eigenen Schattenseiten. "Die Sitze waren früher mit Rosshaar gefüllt", sagt Glahn. "Das ist fürs Sitzen sehr angenehm, dient aber Motten als Futter." Beim Staubsaugen sollten Autobesitzer deshalb stets auf verdächtige Löcher achten - und im Ernstfall schnell zum Fachbetrieb gehen. Für die ledernen Sitzbezüge und Verkleidungen empfiehlt der Experte spezielle Lederseife und Ledercremes, die schonend per Baumwolltuch aufgetragen werden sollten.

Um dem Originalzustand nahezukommen, greift Glahn auf historische Fotobände zurück. Sie zeigen die blitzenden Karosserien zu ihrer Hochzeit, gefahren von Schauspielern und Künstlern. "Da sieht man oft Details, die fürs Restaurieren sehr wichtig sind", erzählt der Autosattler, zu dessen Kunden längst nicht nur Promis gehören. "Das Interesse an Oldtimern nimmt spürbar zu. Ich hätte nie gedacht, dass ich davon einmal leben kann."

Laut Kraftfahrtbundesamt sind in Deutschland knapp 475 000 Oldtimer zugelassen, also Autos, die älter als 30 Jahre sind. Zum Vergleich: 2010 waren es gerade einmal 188 000 Exemplare. Diejenigen von ihnen, die mit einem H-Kennzeichen unterwegs sind, genießen dabei zahlreiche Vorteile: So beträgt die jährliche Kfz-Steuer pauschal 191 Euro, unabhängig von der Emissionsklasse. Auch dürfen Autos mit H-Kennzeichen in Umweltzonen fahren, selbst wenn sie die zugelassenen Abgaswerte überschreiten. Der Grund: Historische Fahrzeuge gelten als Kulturgut, das vom Staat als erhaltenswert erachtet wird.

Wer ein H-Kennzeichen bekommen möchte, darf es beim Restaurieren aber nicht übertreiben. "Das Fahrzeug muss originalgetreu sein", erklärt Vincenzo Lucà, Sprecher des Tüv Süd. Zeitgenössische Änderungen seien durchaus erlaubt, also etwa Sportsitze oder Rad-Reifen-Kombinationen, die es zur damaligen Zeit bereits gab. "Eine Klimaanlage oder ein neues Radio einzubauen, wäre dagegen keine gute Idee", warnt Lucà. Natürlich dürfe jeder mit seinem Auto machen, was er will. "Aber dann muss man in Kauf nehmen, kein H-Kennzeichen zu bekommen." Schließlich gehe es um ein erhaltenswertes Kulturgut - da müsse die Optik stimmen.

Auch Autosattler Günther Glahn hatte schon mit Kunden zu tun, die sich neue Stoßdämpfer oder Sportgetriebe einbauen lassen wollten. Oder Sitzbezüge mit Kuhflecken. Viel hält der Restaurator davon nicht, auch unabhängig von Steuervorteilen und historischen Kennzeichen. "Man sollte bedenken, dass solche Veränderungen mit einem Wertverlust einhergehen", betont Glahn. Die richtige, also originalgetreue Innenausstattung könne hingegen zu einer deutlichen Wertsteigerung führen. "Das kann beim Gutachten zwischen 4000 und 6000 Euro ausmachen", so Glahn. Was wiederum beim etwaigen Verkauf des Fahrzeugs eine Rolle spielt.

Doch was, wenn die historischen Materialien nicht mehr verfügbar sind? Und die Original-Sitzbezüge hoffnungslos zerschlissen? "Dann versuchen wir sie trotzdem zu retten", sagt Glahn. Im Notfall könne man auch neues Leder auf Alt trimmen und mit künstlichen Flecken versehen. "Wir arbeiten sogar Schmutz in die Nähte ein, damit die Sitze möglichst originalgetreu aussehen", so Glahn. Doch auch dabei gilt das eiserne Motto: Bloß nicht übertreiben. "Das Gesamtbild zählt. Nur darauf kommt es an."

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Quelle:
SZ vom 21.09.2019
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