Süddeutsche Zeitung

Genfer Autosalon 2017:Der VW Arteon ist ein Vertreterauto mit Hüftschwung

Lesezeit: 3 Min.

Von Joachim Becker, Genf

Manche Dinge ändern sich vermeintlich nie. Zum Beispiel, dass auf dem Genfer Autosalon völlig unvernünftige Sportwagen besonders viel Aufmerksamkeit genießen. Und dass VW dessen ungeachtet am Genfersee völlig vernünftige und deshalb sterbens-langweilige Autos präsentiert. Zeitlos nannten sie das dann - und überließen Audi kampflos das Fach der expressiven Auto-Emotionen. Das war einmal. Denn manche Dinge ändern sich eben doch.

Diesmal herrschen Frühlingsgefühle auf dem blau-weiß-unterkühlten VW-Messestand. Mit seinen riesigen 20-Zoll-Rädern und einer komplett neuen Formensprache löst der Arteon dieses "Will-ich-haben-Gefühl" aus, von dem die Wolfsburger in letzter Zeit so oft redeten und doch so weit entfernt waren. Ein Gefühl, das bereits der Vorgänger auslösen sollte, der erst Passat CC und dann nur noch VW CC hieß. Dafür war er dann aber doch zu bieder.

Vor genau zwei Jahren hatte Klaus Bischoff das Sportcoupé Concept GTE in Genf vorgestellt. Aber kaum jemand glaubte an eine orginalgetreue Umsetzung des Vertreterautos mit dem neuen, eleganten Hüftschwung. Zu oft hatten die VW-Designer auf Messen frische Studien aufgetischt - und dann in Serie brave Hausmannskost serviert. Jetzt ist der Chefdesigner der Marke VW sichtlich stolz auf die gelungene Überraschung: "Mit diesem Auto beginnt - wie 2015 prognostiziert - in der Tat eine neue Design-Ära."

Zumindest für Volkswagen, denn polarisierend neu ist die Formensprache des neuen Topmodells nicht - auffallend gut gemacht aber schon. Mit seinen leicht überspannten seitlichen Charakterlinien und der weit hinten angesetzten C-Säule gleicht er dem neuen Mercedes E-Klasse Coupé mehr als dem Passat, der als technische Basis dient. Fünf Zentimeter mehr Radstand, vier Zentimeter mehr Breite als sein Teilespender und eine Dachhöhe von nur 1,43 Meter ergeben einen eleganten Gran Turismo irgendwo in der Liga zwischen dem Mercedes und dem Audi A5 beziehungsweise A7.

Günstiger als ein entsprechendes Premium-Modell

"Schöne Autos kommen aus Ingolstadt, relativ preiswerte aus Wolfsburg" - diese Hackordnung hebelt der Arteon mit den breiten Schultern und dem neuen VW-Gesicht in LED-Optik aus. Zumindest der erste Teil der alten Rollenverteilung gilt nicht mehr. Denn etwa 10 000 Euro günstiger als entsprechende Premium-Modelle will der neue Volkswagen immer noch sein. "Der Preis soll die Premium-Hersteller herausfordern, ohne dass VW selbst einer wird", sagt Elmar-Marius Licharz, Baureihenleiter des Arteon.

34 725 Euro beträgt der Einstiegspreis für die 150 PS starke 1.5 Liter TSI-Variante, der gleich starke 2.0 Liter TDI soll ab 37 350 Euro zu haben sein. Mit den neuen Ausstattungslinien R-Line und Elegance und höherer Leistung kratzt der Arteon dann aber an der Schallmauer von 50 000 Euro. Nicht gerade wenig für ein Auto, das auf dem Front-Quer-Baukasten basiert, den auch der neue Polo nutzen wird. Doch die technische Basis sieht man dem Coupé nicht an.

Der Arteon bietet nicht nur schöne Proportionen, sondern als fünftürige Limousine auch reichlich Platz für vier bis fünf Personen. Bei der Sitzprobe passen tatsächlich zwei groß gewachsene Menschen problemlos hintereinander auf die Vorder- und Rücksitze. Was man von den heckgetriebenen BMW-Coupés beispielsweise nicht immer behaupten kann. Auch der Kofferraum spielt mit 563 Liter beziehungsweise 1557 Liter bei umgeklappten Rücksitzen eher in der Kombi-Liga.

Die Gratwanderung zwischen Verwöhnaroma und Nutzwert beherrscht VW also nach wie vor. Aus gutem Grund: Wie jeder gewöhnliche Passat zielt auch der Arteon auf die Firmenflotten. Deshalb darf er zwar rahmenlose Fenster haben, aber nicht Coupé heißen: Solche Autos lösen für gewöhnlich Luxus-Alarm aus - sie werden in den meisten Fuhrparkordnungen größerer Firmen schlicht nicht zugelassen. Also duckt sich der Gran Turismo noch so gerade unter dem Verdacht der Vergnügungssteuerpflicht weg und löst auch in der Nachbarschaft nur jene wohldosierten Neidgefühle aus, die in Deutschland gerade noch zulässig sind.

V6-Motoren sind angedacht, aber noch nicht beschlossen

Konkret bedeutet das, dass ein V6-Turbobenziner mit mehr als 350 PS zwar angedacht, aber noch nicht beschlossen ist. Der Arteon wird sich ab Mitte Juni brav mit vier Zylindern und maximal 280 PS begnügen. Damit bleibt der Respektabstand bei der Motorleistung zu Audi und den anderen Premiummarken doch noch gewahrt.

Klar wird in Genf aber auch, dass sich VW weiter vor den koreanischen Herstellern halten will. 2018 bringt Kia den Stinger GT auf den Markt, der mit seinen Proportionen und einer Länge von 4,83 Meter in direkte Konkurrenz zum Arteon tritt. Der Stinger kommt von vornherein mit einem Sechszylindermotor, der vor allem auf dem US-Markt, der weiterhin nach größeren Motoren als der europäische verlangt, bedeutsam werden könnte. Sollte der Kia in den USA zum Erfolg werden, kann VW auf diesem wichtigen Markt den Arteon unverzüglich mit V6-Motor und damit ein entsprechendes Konkurrenzmodell anbieten. Und ein ziemlich schönes obendrein.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen für 0,99 € zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.3408306
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ.de/jobe
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.