Süddeutsche Zeitung

Elektroauto-Entwicklung:Die Zauberbatterie gibt es nicht

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Vor ein paar Monaten stellten Forscher den Prototypen einer Batteriezelle vor, die Elektroautos zu 800 Kilometer Reichweite verhelfen soll. Was bis zur Straßentauglichkeit übrig bleibt, lässt sich nur mutmaßen.

Von Joachim Becker

Vroomm, so schön kann Zukunft sein. Wenn ein Feststoffakku beispielsweise drei starke E-Maschinen antreibt. Derart aufgebrezelt soll der Audi PB18 E-tron in kaum mehr als zwei Sekunden von 0 auf 100 km/h beschleunigen. Noch sagenhafter wirken die Daten der flüssiggekühlten Batterie: In rund 15 Minuten soll sich der Akku mit fast 100 Kilowattstunden (kWh) Energie vollsaugen. Audi spricht von Emotion ohne Emissionen. Wer sagt da noch, Elektrochemie sei das Knäckebrot unter den Naturwissenschaften: hart, trocken und unglamourös?

Schade, dass es sich nur um ein Auto für Comic-Helden handelt. Aktuelle Festkörperzellen würden bei dem Ladestress rapide altern. "Im Labormaßstab erreichen Feststoffbatterien beeindruckende Energiedichten, die sie für den Einsatz im Automobil höchst interessant machen", schrieben Forscher des Fraunhofer ISI zu Anfang des Jahres - und schränkten gleich wieder ein: "Hinsichtlich Fertigungsverfahren und Stabilität sind weiterhin große Forschungs- und Entwicklungsanstrengungen notwendig." Ihr Faktencheck zu Batterien für Elektroautos geht derzeit von etwa 200 Wattstunden pro Kilogramm (Wh/kg) aus, in den nächsten Jahren könnte die Energiedichte sukzessive auf bis zu 350 Wh/kg steigen. Doch der große Sprung auf 400 Wh/kg und darüber hinaus gelinge nur mit einer Abkehr von der bisherigen Lithium-Ionen-Technologie.

Die Vorteile einer neuen Zellgeneration beispielsweise mit Feststoff-Elektrolyten und Lithium-Metall-Anoden wären offensichtlich: Dank der hohen Energiedichte würde ein 100-kWh-Akkupaket selbst in Audis kleine Rennflunder passen. Fragt sich nur, wie lange so eine Superbatterie Saft liefert: Eine Rennsaison lang - oder doch ein ganzes Autoleben? Samsung-Forscher wollen Feststoffakkus nun beim Schnellladen Beine machen. Vor ein paar Monaten stellten sie den Prototypen einer Batteriezelle vor, die Elektroautos zu 800 Kilometer Reichweite verhelfen und 1000 Ladezyklen überstehen soll. Experten gehen bei 1000 Vollzyklen von einer Laufleistung zwischen 150 000 und 200 000 Kilometern aus, was einem Autoleben von mindestens zehn Jahren entspricht.

Mit Prognosen ist der Leiter des Forschungszentrums vorsichtig

Im Labor funktioniert das alles prima. Was bis zur vollen Straßentauglichkeit übrig bleibt, lässt sich nur mutmaßen. Das gilt auch für die Feststoffbatterie, die Toyota im Rahmen der Olympischen Sommerspiele in Japan präsentieren wollte. Die Technologie-Show wurde genauso abgesagt wie die Sportwettkämpfe. Ob die Japaner tatsächlich ein entsprechend ausgerüstetes Elektroauto in zwei Jahren zur Serienreife bringen werden? "Toyota ist bei Feststoffzellen führend mit einer Leitfähigkeit, die etwa dem Dreifachen von flüssigen Elektrolyten entspricht", sagt Philippe Vereecken, Leiter des Imec-Forschungszentrums an der Universität von Leuven. Trotzdem ist der belgische Professor mit Prognosen vorsichtig.

Im Gespräch mit der Fachzeitschrift ATZ geht Vereecken davon aus, dass Pkw-taugliche Feststoffzellen voraussichtlich 2025 auf den Markt kommen werden. "Es wird erwartet, dass ihre Energiedichte etwa im Jahr 2030 die von Flüssigzellen überholen wird, wenn auch Anoden aus Lithium-Metall zur Verfügung stehen", so Vereecken.

Der Fortschritt findet also in kleineren Knäckebrot-Portionen statt. Zumal die gängigen Lithium-Ionen-Batterien nach Milliarden-Investitionen in die Produktionsanlagen preislich fast unschlagbar sind. In ihrem "Global EV Outlook 2020" schreibt die Internationale Energie Agentur (IEA), dass die Zellpreise im vergangenen Jahrzehnt von 1000 Euro pro Kilowattstunde auf durchschnittlich etwa 140 Euro gesunken seien. Da die Akkukapazität nun im Schnitt bei 44 kWh liege, fahren Elektroautos demnach Zellen im Wert von mehr als 6000 Euro spazieren. Als Einkaufspreis wohlgemerkt, ohne Verkabelung und schützendes Batteriegehäuse.

Busse sind ein Extremfall für Batterieantriebe

In der Batterie-Community ist es Gang und Gäbe, immer neue Rekorde aus der Retorte zu vermelden. Doch wo viel Licht ist, ist bekanntlich auch viel Schatten. Welche Zellchemie sich für welchen Fahrzeugtyp tatsächlich eignen wird, ist noch nicht abschließend geklärt. Feststoffbatterien, die bereits im Einsatz sind, laufen jedenfalls nicht in Rennwagen, sondern in Bussen: "Diese Akkumulatoren arbeiten nur bei Temperaturen um 70 Grad Celsius und sind daher nicht für Elektro-Pkw geeignet", erläutert Philippe Vereecken. Die hohe Betriebstemperatur macht Festelektrolyte leitfähiger. Sonst könnten die elektrisch geladenen Teilchen kaum zwischen Plus- und Minuspol hin und her wandern. "Es gibt keine Zauberbatterie, sondern je nach Anwendungsfall den am besten geeigneten Akku", bestätigt Daniel Vorgerd. Er ist bei Daimler für die Serienentwicklung des eCitaro verantwortlich - eines Busses, den es mit verschiedenen Batterietypen gibt.

Tür auf, Tür zu: Busse sind ein Extremfall für Batterieantriebe. Mit 200 Kilometer Reichweite kommen viele zwar ganz gut über die Runden. Doch beim Kühlen und erst recht beim Heizen im Winter geht viel Energie verloren. Um den Klimakomfort hoch zu halten, bietet Daimler den Solo- und Gelenkbus jetzt nicht nur mit einer Standardbatterie an, sondern auch mit Lithium-Polymer-Akkus, die mit 441 kWh zehn Prozent mehr Gesamtkapazität haben. "Die Feststoff-Technologie eignet sich gut für die Busanwendung: Aus der sehr guten Energiedichte resultiert eine sehr gute Reichweite. Verbunden mit einer sehr guten Perspektive für die Lebensdauer", erklärt Daniel Vorgerd, "die Einschränkung bei dieser Technologie ist, dass sie nicht schnellladefähig ist." Für Busse, die über Nacht im Depot geladen werden, sei das aber kein Problem.

Nicht nur die Fahrgäste, sondern auch die Feststoffbatterien frieren schnell. Während sich konventionelle Lithium-Ionen-Batterien bei etwa 25 Grad Celsius am wohlsten fühlen, braucht die Festkörperbatterie des französischen Lieferanten Blue Solutions eine Betriebstemperatur von 80 Grad Celsius. Also wird der Akku im Depot mit Strom aus der Leitung vorkonditioniert. Für die Fahrt zieht man ihm dann ein Wintermäntelchen an. Die dicke Isolation würde im Pkw zu viel (Batterie-)Raum beanspruchen, der ohnehin knapp ist. Beim Bus gibt es genügend Platz auf dem Dach, ein kleinerer Teil des Akkus wird als Gegengewicht im Heck positioniert. "Im Fahrbetrieb wird die Temperatur durch den Energiedurchsatz bei der Batterieentladung aufrecht erhalten, da brauchen wir keine zusätzliche Energie zum Heizen", so Vorgerd. Das wäre bei Audis 1,20 Meter hoher Flunder wohl nicht anders. Nur das Kühlsystem dürfte künftig den knappen Rahmen sprengen. Zumindest, wenn der Sportler mehrmals voll beschleunigen soll.

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SZ vom 04.07.2020
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