Süddeutsche Zeitung

Aufschwung bei Fiat:Blaue Pillen für kleine Autos

Lesezeit: 2 min

Von Ulrike Sauer, Rom

Der Herr im Morgenrock greift in amouröser Vorfreude in den Badezimmerschrank. Im hohen Bogen fliegt die blaue Pille am weit aufgerissenen Mund vorbei aus dem Fenster. Kling, Dong, Peng, Patsch, Deng, Bim, Kleng geht´s munter über Dächer und durch Gassen des toskanischen Hügeldorfs Pitigliano nach unten - in den Tank eines flammend roten Fiat 500. Das Missgeschick zeigt Wirkung: das lifestylige Stadtauto schwillt an und rollt als gewölbter Geländewagen 500X davon.

Jetzt kommt sie also doch: die Potenzpille für italienische Autos. Der Werbespot für den neuen Crossover Fiat 500X erheitert seit Tagen eine frustrierte Nation. Vor der Ausstrahlung im italienischen Fernsehen wurde das Video "Blue pill" bereits zehn Millionen Mal im Netz geklickt. So geriet das Marktdebüt zum Ereignis. Bei den 170 Händlern, die am vergangenen Wochenende ihre Autohäuser für den ersten italienischen SUV offenhielten, herrschte statt gähnender Leere plötzlich Rummel. 70 000 Neugierige drängelten sich an der Neuauflage des Kultautos vorbei und buchten 13 000 Testfahrten.

Das Manager-Scheusal wird gefeiert

An so viel Wirbel - um einen Fiat! - kann man sich im Land der niedergehenden Autoproduktion kaum erinnern. Und dann noch das: In Turin kreuzte am Samstagnachmittag Sergio Marchionne am 500X-Stand auf. Der Chef von Fiat Chrysler Automobiles (FCA), in der Krise fest auf die Rolle des bulligen Manager-Scheusals gebucht, wird gefeiert. Man bittet ihn sogar um Autogramme und Selfies. Unglaublich.

Es regt sich also endlich etwas in Italien. Vor sechs Monaten beschloss der Turiner Traditionskonzern den Abschied aus dem Heimatland. Fiat vollzog die Fusion mit Chrysler, verlegte den Steuersitz nach London, ging in New York an die Börse. All das schlug in Italien aufs Gemüt. Den Stimmungswechsel löste Marchionne nun mit der Abkehr von seiner Verweigerungshaltung aus. "Wir produzieren nur das, was wir auch verkaufen", hieß sein Dogma seit dem Ausbruch der Finanzkrise. Wozu Geld in neue Modelle stecken, wenn die Leute keine Autos kaufen? Er ließ Gewerkschafter flehen, Politiker schimpfen, Fiat-Kurzarbeiter verzweifeln und Kunden zur Konkurrenz laufen.

Und nun die blaue Pille und der Fiat 500X, der noch nicht einmal ein neues Modell ist, sondern die siebte Version des 2007 herausgebrachten Retro-Bestsellers. Mit ihm aber drängen die Italiener erstmals auf den Boom-Markt für kompakte Geländewagen, der seit sieben Jahren keine Krise kennt, 20 Prozent des Geschäfts darstellt und sogar in Europa zweistellig wächst. "Der 500X kann, ja muss das Auto der Wende werden für Fiat und damit für FCA", sagte Fiat-Markenchef Olivier Francois bei der Modell-Präsentation.

Das Auto wird im süditalienischen Melfi hergestellt, wo FCA eine Milliarde Euro in den Werksumbau investierte. Seit September montiert man dort schon den kleinen Jeep Renegade von Chrysler. Auch das ein ermutigendes Signal: Nie zuvor wurde ein amerikanisches Auto in Italien hergestellt. Und dann kündigte Marchionne Anfang Januar aus Detroit 1000 Neueinstellungen in Melfi und das Ende der Kurzarbeit für 350 Autobauer an. "Möge dies ein Fanal sein für die Belebung des Beschäftigungsmarktes", frohlockte Premier Matteo Renzi dankbar.

Günstige Rahmenbedingungen

Das Fehlen neuer Modelle ist lange ein Grund für das Desinteresse der Anleger gewesen. Nun verbessern die SUV-Premieren und Marchionnes Premiumstrategie, die Alfa Romeo mit neuen Modellen wieder auf Erfolgskurs bringen soll, die Perspektiven für den Aktienkurs. Seit dem vergangenen August hat sich der Börsenwert von FCA fast verdoppelt. Seit Jahresbeginn legte die Aktie um 21 Prozent zu.

Auch die Euro-Schwäche hilft dem italo-amerikanischen Konzern. FCA macht 70 Prozent seiner Geschäfte im Dollarraum. Die Bilanzlegung aber erfolgt im Mini-Euro. Die günstige Konstellation erlaubte es Marchionne bei der Vorlage der Jahreszahlen am Mittwoch in London, sein eigenes Umsatzziel zu übertreffen. Fiat Chrysler steigerte das Geschäft 2014 um elf Prozent auf 96,1 Milliarden Euro - immerhin.

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Quelle:
SZ vom 29.01.2015
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