Süddeutsche Zeitung

Umwelt:US-Regierung will 100 Jahre alte Vogelschutzgesetz rupfen

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Naturschützer und Politiker protestieren gegen die Neuregelung. Das Gesetz hatte eine hohe Abschreckungswirkung - das könnte sich nun ändern.

Von Thomas Krumenacker

Ende 2019 noch erklärte Donald Trump sich zum Vogelschützer. Windräder seien laute und hässliche Monster, empörte sich der US-Präsident, und "sie töten die Vögel". Wer einen Vogelfriedhof sehen wolle, müsse nur unter ein Windrad schauen. Das treffe sogar Amerikas Wappenvogel, den Weißkopfseeadler. Doch bald darauf überlegte es sich Amerikas oberster Vogelschützer offenbar anders: Ende Januar legte Trumps Regierung den Entwurf für eine Neufassung des Migratory Bird Treaty Act (MBTA) vor, des ältesten und wichtigsten Gesetzes zum Vogelschutz in den USA. Und wenn es nach der Regierung geht, dann wird bald nur noch eine gerupfte Variante davon übrig sein.

Nun sollen Firmen nicht mehr haften, wenn Vögel in ihren Anlagen zu Schaden kommen

Der MBTA gilt bereits seit 1918. Er schützt mehr als 1000 Zugvogelarten in den USA und damit einen Großteil aller Vögel. Sein Kern lautet: Jede Art von Tötung eines Zugvogels außerhalb der Bestimmungen des Jagdrechts ist verboten. Die Formulierung, wonach die Tötung von Vögeln "mit jedem Mittel und auf jede Weise" untersagt ist, macht ihn zum wirksamsten Vogelschutzgesetz des amerikanischen Kontinents. Denn diese Bestimmung wurde jahrzehntelang so ausgelegt, dass auch die unbeabsichtigte, gleichwohl vorhersehbare Tötung von Vögeln strafbar ist, etwa in offenen Ölgruben, an Freileitungen, Funktürmen oder Windrädern. Vollzogen wird der Act allerdings bereits seit dem Amtsantritts Trumps kaum noch. Nun soll das Gesetz auch formell so gefasst werden, dass Firmen nicht mehr haften, wenn Vögel durch ihre Anlagen zu Schaden kommen. "Verhalten, das zu unbeabsichtigten oder zufälligen Verletzungen oder Tod von Zugvögeln führt, ist nicht strafbar", schreibt die US-Fisch- und Wildtierbehörde über die angestrebte Neufassung.

Naturschützer, aber auch einige Politiker aus beiden großen Parteien laufen Sturm gegen die Neuregelung und verweisen auf den rapiden Rückgang vieler Vogelarten in den USA. Ornithologen der Cornell University rechneten vor, dass in Nordamerika in den letzten 50 Jahren fast jeder dritte Vogel starb - insgesamt drei Milliarden Tiere. Ein erheblicher Teil der Verluste geht Naturschützern zufolge auf unbeabsichtigte Tötungen in Landwirtschaft und Industrie zurück. "Die durch den MBTA erfassten Gefahren zu ignorieren, ist unverantwortlich, nachlässig und eine Garantie dafür, Schaden anzurichten", kritisiert Mike Parr, der Präsident des Vogelschutzverbandes American Bird Conservancy. "Es ist so, als würde man mitten im Berufsverkehr alle Gullydeckel offen lassen."

Wirkliche harte Strafen wurden bislang nur in Extremfällen verhängt

Der größte Wert des Gesetzes besteht nach Meinung von Naturschützern in seiner abschreckenden Wirkung. Allein die Strafandrohung habe viele Unternehmen über Jahrzehnte bewogen, mit den Behörden gemeinsam Präventionsmaßnahmen gegen den Vogeltod zu ergreifen. So wurden Ölseen abgedeckt und Windräder oder Funkmasten dorthin gebaut, wo keine Vogelzugroute entlangführte. Auch außerhalb der USA nahm man sich das zum Vorbild.

Wirklich harte Strafen nach dem MBTA wurden allerdings nur in extremen Fällen ausgesprochen, zum Beispiel nach der Havarie der Bohrinsel Deepwater Horizon im Jahr 2010. Bei der größten Umweltkatastrophe in der US-Geschichte liefen fast 800 Millionen Liter Erdöl in den Golf von Mexiko, mehr als eine Million Seevögel starben. Der Betreiber BP wurde nach dem MBTA schuldig gesprochen und musste 100 Millionen Dollar für die Wiederherstellung des Ökosystems und für Vogelschutzmaßnahmen zahlen. Wenn das Gesetz wie geplant novelliert wird, bleibt die Regierung künftig auf den Kosten für die Behebung solcher Umweltschäden sitzen. Während Umweltverbände bereits eine Klage gegen die Novelle vorbereiten, begrüßte etwa der Verband der Ozeanindustrie die Neuregelung als "Beitrag zum Ausgleich von wirtschaftlichem Wachstum und Umweltschutz".

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SZ vom 29.05.2020
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