Süddeutsche Zeitung

Verhaltensbiologie:Schlafmangel im Hummelnest

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Insekten, die sich um Nachwuchs kümmern müssen, ruhen sich seltener aus. Darin ähneln sie Menschen.

Von Tina Baier

Alle Tiere müssen schlafen. Das gilt für Hummeln genauso wie für Menschen. Allerdings gibt es im Leben vieler Arten Situationen, in denen die Schlafdauer zugunsten einer anderen Aufgabe verkürzt wird. Zugvögel etwa schlafen während ihrer Reise weniger als sonst. Und Menschen durchwachen ganze Nächte, wenn sie sich um ihren Nachwuchs kümmern müssen. Ähnliches gilt für sozial lebende Hummeln, wie israelische Verhaltensbiologen jetzt im Fachjournal Current Biology berichten.

In einem ersten Experiment prüfte das Team um Moshe Nagari von der Hebrew University in Jerusalem, wie Dunkle Erdhummeln (Bombus terrestris) normalerweise schlafen. Mithilfe von Videoaufnahmen und einer Art Bewegungsmelder beobachteten sie, dass die Tiere im Lauf eines Tages immer wieder Phasen einlegen, in denen sie sich länger als fünf Minuten nicht bewegen, selbst die Antennen der Tiere stehen in diesem Zustand still. Die Biologen konnten schlafende Hummeln wecken, indem sie Licht machten. Störten sie ihren Schlaf durch Rütteln an der Unterlage, auf der die Hummeln saßen, waren die Insekten allem Anschein nach müde. Zumindest dösten sie in den folgenden drei Tagen deutlich mehr als sonst.

Wahrscheinlich bringen chemische Botenstoffe die Arbeiterinnen um ihren Schlaf

Im zweiten Experiment beobachteten die Forscher das Schlafverhalten der Insekten in Anwesenheit von Hummellarven, die versorgt und gefüttert werden mussten. Im Vergleich zu Kontrollhummeln, zu denen die Biologen statt einer Larve lediglich ein Stück Wachs legten, schliefen diese Tiere deutlich weniger. Zwar ruhten auch sie sich hin und wieder aus, allerdings deutlich seltener als Hummeln, die keine Larven zu versorgen hatten. Eine Erklärung wäre nach Ansicht der Biologen, dass die Larven gepflegt werden müssen, etwa indem die erwachsenen Tiere dafür sorgen, dass es nicht zu kalt oder zu warm wird. Tatsächlich zeigten die Videos, dass sich die Arbeiterinnen immer wieder auf die Larven setzten, wahrscheinlich, um sie zu wärmen. "Der Effekt der Brut auf den Schlaf erinnert an Studien mit verschiedenen Arten von Säugetieren", schreiben die Forscher. "Zum Beispiel schlafen Menschenmütter neben ihren Babys weniger und mit Unterbrechungen."

Ein Phänomen, das die meisten Mütter wohl auch ohne Studie bestätigen können. Doch wie schaffen es die Hummellarven und -puppen, den Schlaf der Erwachsenen zu stören, damit diese sich um sie kümmern? Anders als Menschenbabys und viele andere Jungtiere geben sie nach allem was man weiß keine Geräusche von sich, um auf sich aufmerksam zu machen. Die Puppen bewegen sich nicht einmal. Visuelle Signale sind ebenfalls unwahrscheinlich, da es im Nest dunkel ist. Die Biologen gehen davon aus, dass Puppen und Larven Pheromone abgeben, Botenstoffe, die die Arbeiterinnen dazu bringen, weniger zu schlafen. Dafür spricht ihrer Ansicht nach auch die Beobachtung, dass selbst leere Kokons, aus denen die Puppen entfernt wurden, den Schlaf der Arbeiterinnen noch einige Zeit beeinflussten. Allerdings nahm dieser Effekt nach und nach ab - vermutlich, weil sich die auf der leeren Hülle zurückgebliebenen Botenstoffe nach und nach verflüchtigen.

Beim Menschen wirkt sich anhaltender Schlafmangel irgendwann auf die Gesundheit aus. Menschen die permanent zu wenig schlafen, haben ein höheres Risiko, sich mit einer Infektionskrankheit anzustecken, übergewichtig zu werden oder an Diabetes zu erkranken. Wenig weiß man dagegen darüber, wie sich ein Schlafdefizit auf Tiere auswirkt. Zumindest einige Arten scheinen ganz gut damit zurechtzukommen. Fregattvögel etwa können wochenlang in der Luft bleiben, ohne abzustürzen oder von ihrer Route abzukommen. Wenn sie dann endlich landen, haben sie allerdings einiges nachzuholen und schlafen 13 Stunden am Stück.

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Quelle:
SZ vom 08.10.2019
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