Süddeutsche Zeitung

Umwelt:Untergang unter Wasser

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Überfischung, Abwasser, Touristen - die Zerstörung der weltweiten Korallenriffe kennt kaum mehr Grenzen.

Wiebke Rögener

Darin waren sich die Wissenschaftler einig, die vergangene Woche in Bremen zu einer Tagung der International Society for Reef Studies in Bremen zusammentrafen: Das pazifische Korallendreieck zwischen Indonesien, den Philippinen und Neuguinea ist mit seinen Riffen, die Hunderten von Fischarten, Schwämmen und anderem Getier Lebensraum bieten, die artenreichste Meeresregion der Welt.

Erst kürzlich entdeckte eine Expedition der Naturschutzorganisation Conservation International vor der Küste Papuas zahlreiche neue Tierarten, darunter einen Hai, der auf seinen Flossen über die Rifflandschaft wandert.

"Zugleich ist dies die am stärksten gefährdete Region", sagt Claudio Richter vom Zentrum für Marine Tropenökologie in Bremen. Dabei sind die Schäden, die der Tsunami im Dezember 2004 an den Riffs im Pazifik verursachte, regional unterschiedlich ausgeprägt.

Als hätte eine Bombe eingeschlagen

"An einigen Riffen an der Küste Thailands sieht es aus, als hätte eine Bombe eingeschlagen", sagt der Meeresbiologe. "Doch kam es ganz auf die lokalen Gegebenheiten an. Wo an einer Stelle große Blöcke abgerissen wurden, sind daneben filigrane Korallenzweige stehen geblieben."

Besonders große Schäden richtete die Naturkatastrophe dort an, wo der Mensch zerstörerische Vorarbeit geleistet hatte. "Wo viele Riffe schon vor Jahrzehnten durch Zinnabbau vernichtet wurden, hat der Tsunami lose Korallenblöcke über weite Strecken verschoben", beobachtete Richter.

Ein weiteres Beispiel für das Zusammenwirken von Zivilisation und Natur bei der Zerstörung: "Bohrende Muscheln und Würmer profitieren davon, wenn das Wasser durch Abwässer nährstoffreicher wird.

Diese Organismen durchlöchern das Riff wie Karies. Solche vorgeschädigten Riffe konnten dem Tsunami weit schlechter widerstehen." Doch große Schäden seien letztlich nur lokal begrenzt aufgetreten. Fast überall aber werden tropische Korallenriffe durch eine menschengemachte Katastrophe bedroht: die starke Überfischung, oft mit Dynamit.

So werden die in Jahrhunderten aus Korallenskeletten aufgebauten Kalkgebilde nicht nur innerhalb weniger Jahre mechanisch zerstört, sondern auch aus dem ökologischen Gleichgewicht gebracht.

Riffbildende Korallen bieten nicht nur Hunderten von Fischarten Nahrung und Kinderstube; die Fische selbst brauchen sie zum Überleben. Denn sie weiden die Algen ab, die sonst alles überwuchern. Wo Fische fehlen, gewinnen so genannte Makroalgen die Oberhand, und die Korallen gehen zugrunde.

Darüber hinaus greifen die Algen auch chemisch an: "In Laborversuchen starben Korallen ab, die ohne direkten Kontakt neben Makroalgen wuchsen", sagt Richter. "Dabei waren sie von den Algen durch eine Membran getrennt, die nur gelöste Stoffe durchließ. Diese Substanzen wirken offenbar wie eine chemische Keule."

Sensible Untermieter

Eine zweite Ursache des Korallensterbens ist der Klimawandel. Tropische Korallen brauchen bestimmte Lebensbedingungen - Forscher sprechen von einem engen biogeochemischen Fenster. Die Gegebenheiten müssen nicht nur den polypenförmigen Korallentierchen behagen sondern auch ihre Untermietern - kleinen Algen, Zooxanthellen genannt, die im Korallenkörper leben.

Sie produzieren Nährstoffe, auf die die Hausherren angewiesen sind. Für diese Lebensgemeinschaft müssen die mittleren Jahrestemperaturen über 22 Grad liegen, aber auch nicht zu stark steigen. Wenn es zu warm wird, stoßen die Nesseltiere die Zooxanthellen ab - es kommt zur berüchtigten Korallenbleiche, die oft zum Absterben der Korallen führt.

Zwar gibt es Zooxanthellen, die mit höheren Temperaturen zurechtkommen, etwa im Persischen Golf. Manche Wissenschaftler meinen, dass das Hinauswerfen ungeeigneter Untermieter ein Versuch der Korallen sei, sich veränderten Umweltbedingungen anzupassen - so könnten sie andere, für wärmere Temperaturen taugliche Symbionten aufnehmen, falls diese des Wegs kommen.

Doch die Wechselwirkungen zwischen Korallen und Symbionten sind bisher wenig verstanden (Nature, Bd. 440, S. 1186, 2006). "Es kommt viel darauf an, wie schnell sich die Meere erwärmen", sagt Claudio Richter.

Nicht nur wegen der Erwärmung ist der Treibhauseffekt für Riffe bedrohlich. Kohlendioxid löst sich auch im Wasser und macht es saurer. Dadurch verschiebt sich das Gleichgewicht von Kalkbildung und Kalkabbau. Sinkt der pH-Wert leicht, wird mehr Kalk abgebaut als die Korallen neu bilden.

Die Übersäuerung der Meere sei für die Korallen ähnlich bedrohlich wie die Korallenbleiche, sagt Barbara Brown von der Universität Newcastle. "Nur weil sie nicht so sichtbar ist, macht sie keine Schlagzeilen."

"Kurzfristig lässt sich die Erwärmung und Übersäuerung nicht stoppen. Viel schneller kann es helfen, bestimmte Gebiete für die Fischerei zu sperren", sagt Nicholas Polunin, ebenfalls von der Universität Newcastle. "Global betrachtet hat die Überfischung den größten Einfluss auf die Riffe."

Schutzmaßnahmen müssten konsequent umgesetzt werden. Für das australische Great Barrier Reef etwa galten lange nur sehr halbherzige Fischereibeschränkungen. Erst seit 2005 stehen 30 Prozent des Riffs - eine Fläche so groß wie Italien - völlig unter Schutz.

Wirtschaftliche Überlegungen hätten dazu beigetragen, meint Claudio Richter. Bringe die Tourismusindustrie mit fünf Milliarden australischen Dollar doch weit mehr ein als die 200 Millionen, die mit der Fischerei erwirtschaftet werden.

Abwassereinleitungen schaden

Neben Überfischung und globaler Erwärmung schaden auch Abwassereinleitungen den Riffen. "Sie führen zu einer Überdüngung der Küstenmeere", sagt Polunin. "Der Nährstoffreichtum begünstigt das Wachstum der Makroalgen und gefährdet so die Korallen." Über ein extremes Beispiel von Überdüngung berichtete Yosi Loya von der Universität Tel Aviv.

Die Riffe im Roten Meer vor der Stadt Eilat im südlichen Israel leiden vor allem unter der Aquakultur. Aus dicht besetzten Fischkäfigen im Meer gelangten so viel Stickstoff- und Phosphorverbindungen ins Meer, wie es den ungeklärten Abwässern einer Stadt mit 70 000 Einwohnern entspräche, rechnet Loya vor.

"Etwa zwei Drittel der Korallenriffe sind in den letzten beiden Jahrzehnten bereits abgestorben", beklagt er. Ohne sofortigen Schutz könnten die als Touristenattraktion beworbenen Riffe bei Eilat in wenigen Jahren verschwunden sein.

Tourismus ist für Korallenriffe Chance und Gefahr zugleich. Einerseits schafft er für Menschen, die bisher vom Fischfang lebten, neue Verdienstmöglichkeiten und damit Anreize, Riffe zu erhalten. Andererseits kann intensiver Tourismus schaden.

Als Wellenbrecher ungeeignet

So zeigten Untersuchungen vor der Sinai-Halbinsel: Wenn zu viele Taucher auf Riffen herumtrampeln, ändert sich die Zusammensetzung der Korallen im Ökosystem - zerbrechliche Arten gehen zurück, einige Fischarten werden seltener.

Nicht nur die Fischerei, auch der Tourismus muss sich Regeln unterwerfen, fordern Wera Leujak und ihre Kollegen von der Universität London. Wo heute mehr als 300 Touristen pro Jahr auf jedem Quadratmeter Riff herumstapften, dürften es höchstens 50 sein. Einhellig forderten die Forscher, dass Riffe besser geschützt werden müssen.

Strittig bleibt, wie stark die Riffe dem Menschen Schutz bieten. Anders als vielfach kolportiert, hätten sie die Zerstörungskraft des Tsunamis von 2004 nicht gebremst, sagte Andrew Baird von der James Cook University in Australien.

"Die Überflutung war unabhängig von der Beschaffenheit der Riffe oder der Küstenvegetation vor dem Tsunami", erklärt er nach Studien in Indonesien. Claudio Richter hat andere Beobachtungen gemacht: "Nahe am Epizentrum haben die Riffe nichts abfangen können.

Auch der Stoßfänger am Auto hilft nichts, wenn Sie mit Höchstgeschwindigkeit gegen eine Wand fahren. Doch da, wo die Kraft der Welle geringer war, konnten wir feststellen, das Gegenden mit intakten Korallenriffen deutlich weniger zerstört wurden, als Regionen wo die Riffe fehlen."

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SZ vom 26.09.2006
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