Süddeutsche Zeitung

Umwelt:Krieg und Klima

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Die Eroberung Amerikas durch die Europäer hatte nicht nur furchtbare Konsequenzen für die dort lebenden Menschen. Sie hatte auch eine Abkühlung des Klimas zur Folge.

Von Christoph von Eichhorn

Die mächtigsten Waffen der Eroberer waren unsichtbar und eilten ihnen stets voraus. Krankheiten wie die Pocken, die Masern oder die Grippe töteten bei der Kolonisierung Amerikas weitaus mehr Ureinwohner als die Kanonen und Schwerter der Europäer. Dass die Eroberung Amerikas mit massivem Leid der einheimischen Völker verbunden war, wissen Historiker längst. Doch sie hatte auch in klimatischer Hinsicht gravierende Folgen, wie ein Forscherteam des University College London nun berichtet.

Demnach führte der Zusammenbruch der indianischen Kulturen in Nord- und Südamerika dazu, dass sich das Klima über Jahrhunderte merklich abkühlte. Das Szenario, das die Forscher im Fachblatt Quaternary Science Reviews zeichnen, beginnt mit dem "Großen Sterben" der indianischen Völker. Die Forscher schätzen, dass eingeschleppte Seuchen innerhalb eines Jahrhunderts 90 Prozent der damaligen amerikanischen Bevölkerung dahinrafften. Anschließend brach die Landwirtschaft zusammen: Weniger Menschen bewirtschafteten Felder, weniger Menschen mussten ernährt werden. Die brachliegenden Ackerflächen eroberten sich Bäume und Sträucher zurück, die Vegetation wurde über das 16. Jahrhundert hinweg immer dichter. Diese neuen Pflanzen nahmen mehr Kohlendioxid aus der Luft auf, sodass der Gehalt des Treibhausgases in der Atmosphäre sank und es auf der Erde kühler wurde.

Vor der Ankunft der Europäer lebten wohl 60,5 Millionen Menschen in Amerika

Die Ereignisse in Amerika würden damit direkt mit der "Kleinen Eiszeit" zusammenhängen, einer Periode relativ kühlen Klimas vom 15. Jahrhundert bis zur Industrialisierung. In Europa sind aus dieser Zeit etliche Hungerwinter überliefert, und Jahre, in denen selbst große Flüsse wie die Themse vollständig zufroren. Um den Kausalzusammenhang zu belegen, haben die Forscher um Alexander Koch vom University College London Daten aus etlichen Quellen zusammengetragen und zu einer komplexen Rechnung verwoben. Einer Rechnung mit Unsicherheiten, denn in der frühen Kolonialgeschichte gibt es große Wissenslücken. Das fängt schon bei der Frage an, wie viele Menschen in Amerika lebten, bevor Christopher Kolumbus 1492 an Land ging. Es gibt zwar koloniale Volkszählungen, etwa von den spanischen Eroberern vom 16. Jahrhundert an - doch zu diesem Zeitpunkt hatten Epidemien die Ureinwohner bereits massiv dezimiert. Die Forscher haben daher 120 Schätzungen von Historikern und Archäologen ausgewertet, um daraus einen Mittelwert zu bilden. So kommen sie zur Einschätzung, dass vor der Ankunft der Europäer 60,5 Millionen Menschen in Nord- und Südamerika lebten. Zum Vergleich: In Europa lebten zu dieser Zeit etwa 80 Millionen Menschen. Am dichtesten besiedelt waren die Reiche der Azteken im heutigen Mexiko und der Inka im westlichen Südamerika, mit jeweils vermutlich rund 20 Millionen Einwohnern. In ganz Nordamerika lebten dagegen wohl weniger als sechs Millionen Menschen.

Vor allem die Hochkulturen betrieben vor der Ankunft der Europäer intensiv Ackerbau. Im heutigen Mexiko gab es riesige Felder für Mais und Kakao. In den Anden bauten die Inka auf Terrassen Gemüse wie Quinoa an. Die Ankunft der Europäer setzte dem ein Ende. Von einstmals 60 Millionen Menschen schrumpfte die Bevölkerung bis Ende des 16. Jahrhunderts auf unter sechs Millionen. 56 Millionen Hektar Ackerfläche gingen daraufhin verloren und wurden auf natürliche Weise wieder aufgeforstet, das entspricht etwa der Fläche Frankreichs. Die Forscher schätzen, dass der Atmosphäre dadurch sieben Milliarden Tonnen Kohlendioxid entzogen worden sind.

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SZ vom 11.02.2019
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