Serie: Mythen von Monstern (10):Der Mongolische Todeswurm
Lesezeit: 5 Min.
In der Wüste Gobi lebt angeblich ein riesiger Wurm, der Gift verspritzt und sogar Menschen tötet. Davon sind zumindest viele der einheimischen Nomaden überzeugt.
Wollte man den Mythos eines Monsters schaffen, müsste man bei der Wahl seines Lebensraums bestimmte Voraussetzungen berücksichtigen. Man sollte es in einem möglichst nicht oder wenig erschlossenen Gebiet ansiedeln.
Gut ist es, wenn die wenigen Einheimischen die Existenz von Wesen mit übernatürlichen oder unerklärlichen Eigenschaften bereitwillig akzeptieren. Und idealerweise gibt es bereits halbwegs passende Legenden, die belegen, dass die Ungeheuer schon seit Generationen bekannt sind.
Eine Region, die sich da anbietet, ist die Wüste Gobi in Zentralasien, ein riesiges Gebiet zwischen dem Altai-Gebirge und der Mandschurei. Die Fläche der insbesondere von mongolischen Nomaden bewohnten Gobi beträgt mehr als eine Million Quadratkilometer. Deshalb ist es sicher auch kein Zufall, dass hier tatsächlich ein gefährliches Monster leben soll: der mongolische Todeswurm Allghoi Khorkhoi.
Ausführlich beschrieben hat ihn 1996 der tschechische Monstersucher Ivan Mackerle in Fate vor, einem Magazin, dass sich mit unerklärlichen Phänomenen beschäftigt.
"Dick wie der Arm eines Mannes"
Demnach soll das Tier "ein wurstförmiger Wurm" sein, "über einen halben Meter lang und dick wie der Arm eines Mannes, so dass er dem Darm einer Kuh ähnelt. (...) Es ist schwer, seinen Kopf vom Schwanz zu unterscheiden, weil er weder sichtbare Augen noch Nasenlöcher hat und keinen Mund.
Er ist dunkelrot, wie Blut oder Salami. Er lebt in einsamen Sanddünen und in den heißen Tälern der Wüste Gobi (...) Er kommt nur nach Regen hervor, wenn der Boden feucht ist. Er ist gefährlich, da er Menschen und Tiere augenblicklich aus einer Distanz von mehreren Metern töten kann".
Die Methode, mit der der Wurm seine Opfer angeblich umbringt, ist extrem bizarr und physikalisch kaum vorstellbar: So sollen auf der Haut des Tieres Blasen entstehen, die platzen und tödliche Säure verspritzen. Außerdem kann der Wurm angeblich elektrische Schläge austeilen. Insbesondere im Juni und Juli wollten Augenzeugen die Tiere beobachtet haben.
Es war nicht das erste Mal, dass der Westen von dem Tier hörte. Bereits 1926 hatte der US-Paläontologe Roy Chapman Andrews in seinem Buch "On The Trail Of Ancient Man" (Deutsch: "Dinosaurier in der Wüste Gobi") auf das Tier hingewiesen. Andrews, eine Art Indiana Jones und Direktor des American Museum of Natural History in New York, hatte während Ausgrabungen in der Gobi von Einheimischen Berichte über einen tödlichen Wurm gehört.
Der Wissenschaftler war nicht überzeugt von dessen Existenz, zumal niemand das Tier selbst gesehen hatte. Immerhin beschrieben alle das Tier mit dem Namen Allergorhai-horhai auf die gleiche Weise.
In den 1940er Jahren nutzte der russische Paläontologe Iwan Jefremow, der ebenfalls die Gobi besucht hatte, das Thema für eine fiktive Geschichte, die von den Erzählungen der Nomaden inspiriert war. Bei ihm hieß der Wurm Olgoj-Chorchoi, in der DDR wurde der Text in den 1950er Jahren unter dem Titel "Tod in der Wüste" veröffentlicht.
Schließlich erfuhr Ivan Mackerle eigenen Angaben zufolge von einer junge Mongolin vom Allghoi Khorkhoi, nachdem sie von seiner Suche nach dem Loch-Ness-Monster gehört hatte. Mackerle machte sich Anfang der neunziger Jahre auf die Suche nach dem "Darmwurm", so die deutsche Übersetzung des Namens. Er fand keine Spur von dem Tier, kehrte jedoch mit der oben zitierten Beschreibung durch die Einheimischen zurück.
Augenzeugenberichte
Mehrere Expeditionen westlicher Monstersucher und Journalisten haben inzwischen die Gobi bereist, ohne jedoch mehr zu finden als weitere Erzählungen von Einheimischen, von denen immerhin einige das Tier selbst gesehen haben wollten. 2003 etwa suchte der Brite Adam Davies mit seinem Kollegen Andy Sanderson im Rahmen ihrer "Extreme Expeditions" vergeblich nach dem Todeswurm.
Zwei Jahre später organisierte das britische Centre for Fortean Zoology eine Expedition in die Mongolei. Wie Davies zuvor konnten die Teilnehmer nur Erzählungen von angeblichen Augenzeugen sammeln, Beweise für die Existenz des Tieres fanden sie nicht. Genauso erging es 2007 einem Fernsehteam, das im Rahmen der Serie "Destination Truth" des US-Senders SciFi-Channel in die Gobi reiste.
Wurm, Schlange oder Schleiche?
Interessant war allerdings, dass manche Augenzeugenberichte, die die Teilnehmer der Expeditionen gesammelt hatten, in einigen wichtigen Punkten von der ursprünglichen Beschreibung des Wurms abwichen. So wollten einige Einheimische Schuppen und sogar Hörner am Kopf des Monsters gesehen haben.
Allein aufgrund der Größe der Gobi und der spärlichen Besiedelung kann man sich vorstellen, das dort bislang unbekannte Tiere leben. Zwar erinnern die Beschreibungen teilweise tatsächlich an eine Art Wurm, einen Anneliden. Zu diesem Stamm der Ringelwürmer gehören etwa Regenwürmer, Blutegel und die im Meer lebenden Vielborster. Die Vertreter der größten bekannten Art, dem australischen Riesenregenwurm, können bis zu drei Meter Länge erreichen.
Allerdings ist die trockene, heiße Gobi nicht gerade der ideale Lebensraum für solche Tiere. Außerdem spricht die Fähigkeit, Opfer mit Säure, Gift oder Stromschlägen zu töten, nicht für einen Anneliden.
Der wurmförmige Bauplan des Allghoi Khorkhoi könnte natürlich für eine Schlange sprechen. Solche Reptilien gibt es in der Gobi. Vom Körperbau her könnte es sich zum Beispiel um eine Sandboa handeln. Diese etwa einen halben Meter langen Tiere besitzen einen gedrungenen Körper und einen abgerundeten Schwanz. Auch gibt es Schlangen, die Gift spritzen können: die sogenannten Speikobras in Afrika und Asien. Bislang hat man allerdings keine solche Giftschlange in der Gobi entdeckt. Auch bewegen sich Schlangen nicht unterirdisch fort, wie es vom Allghoi Khorkhoi berichtet wird.
Das tun allerdings andere Reptilien, die in einigen Merkmalen an den Todeswurm erinnern: die Doppel- oder Ringelschleichen. Diese Reptilien graben Tunnelsysteme und sind demnach an eine unterirdische Lebensweise angepasst. Ihr Körper ist zylindrisch, die geringelte Haut lederartig und Kopf und Schwanz sind gleichermaßen stumpf.
Augen und Mund sind klein. Sie bewegen sich nicht schlängelnd fort, sondern mit einer Ziehharmonikabewegung wie Regenwürmer - und zwar genauso gut vor- wie rückwärts. Und es gibt Arten, die bis zu 80 Zentimeter lang werden. Und sie sind noch wenig erforscht.
Allerdings leben die bekannten Arten in tropischen und subtropischen Gebieten. Und sie ernähren sich vor allem von Insekten. Dass sie eine Maus verspeisen, wie es eine Augenzeugin beschrieb, oder gar Menschen angreifen, ist kaum vorstellbar. Und während es zwar Fische gibt, die Stromstöße abgeben können, ist ein solches Verhalten von Reptilien nicht bekannt.
Die wahrscheinlichste Erklärung für den Mythos vom Todeswurm ist, dass die Einheimischen in der Gobi immer wieder auf Schlangen - etwa Sandboas - oder schlangenähnliche Tiere wie Doppelschleichen treffen. Auch wenn diese Begegnungen nicht tödlich ausgehen, können sich um solche Tiere Legenden ranken.
Das Schicksal des Feuersalamanders
Wie Richard Freeman, ein Teilnehmer der Gobi-Expedition des Centre for Fortean Zoology 2005, erklärte, hielten schließlich auch viele Europäer früher den Feuersalamander für hochgefährlich. Seine Haut enthielt angeblich ein tödliches Gift. Warf man ihn ins Feuer, sollte er das nicht nur überleben, sondern den Brand sogar löschen. Tatsächlich löst das Abwehrsekret der Tiere bei Menschen normalerweise lediglich ein Brennen aus. Und als Amphibien sind Feuersalamander alles andere als hitzebeständig. Sie haben es lieber feucht. Vermutlich ging der Aberglaube auf die feuerflammengelben Flecken der Tiere zurück.
Und vielleicht lebt in der Gobi tatsächlich ein bislang noch unbekanntes, relativ kleines Tier, das aufgrund eines Lebens im Verborgenen von Wissenschaftlern noch nicht entdeckt wurde. Ein Todeswurm ist es vermutlich nicht. Aber die Existenz einer Art Wurm in der zentralasiatischen Wüste ist jedenfalls wahrscheinlicher als die eines riesigen Affenmenschen in den USA oder eines Plesiosauriers in einem schottischen See.