Süddeutsche Zeitung

Schweinegrippe und Kirche:Wenn der Glaube ansteckend ist

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Die Schweinegrippe sucht auch die Kirchen heim. Turbo-Predigten und virtuelle Gottesdienste sollen nun vor der Infektion schützen.

M. Drobinski

Zeiten der Heimsuchung sind religiöse Zeiten. Als sich 1347 die Pest durch Europa fraß, da glaubten die Menschen: Gott straft. Flagellanten zogen durch die Städte, sie geißelten sich aufs Blut, das Volk strömte in die Kirchen und betete, was die Ansteckung eher förderte als verhinderte. Papst Clemens VI. verbarrikadierte sich in seinem Palast in Avignon, Tag und Nacht loderten neben ihm zwei Feuer, sie sollten die Krankheit fernhalten. Viele seiner Priester begleiteten derweil die Kranken, starben mit ihnen.

Dass die Schweinegrippe dann doch nicht diesen Grad der Heimsuchung erreicht hat, zeigt sich auch daran, dass die weltweite Verbreitung der Krankheit zur zumindest vorübergehenden Säkularisierung führen könnte, und das sogar mit dem Segen der Kirchen.

Die meisten Religionen drängen zur Gemeinschaft, und wo Gemeinschaft ist, da wirkt nicht nur der Glaube ansteckend. In Mexiko, dem Mutterland der Schweinegrippe, bleiben viele Beichtstühle und zahlreiche Kirchen geschlossen; geöffnete Gotteshäuser werden gut durchlüftet. Predigten, so hat das Erzbistum Mexiko angeordnet, sollen nicht länger als fünf Minuten dauern, beim Kommunionempfang bleiben die Priester stumm - die Worte "der Leib Christi", ausgesprochen vor dem Gesicht des Gläubigen, könnte zur Tröpfcheninfektion führen. In Costa Rica fällt zum ersten Mal seit 227 Jahren die Wallfahrt zur schwarzen Madonna, aus - erwartet wurden dort bis zu einer Million Pilger.

Auch der Hadsch der Muslime nach Mekka kann gefährlich werden: In Ägypten starb eine 25-jährige Frau, die sich bei der Wallfahrt angesteckt hatte. Die arabischen Gesundheitsminister haben nun älteren Menschen, Kindern unter zwölf Jahren und chronisch Kranken verboten, nach Mekka zu fahren.

In Europa machen sich vor allem die englischen Kirchen Sorgen, dort gibt es besonders viele Grippe-Fälle. Die anglikanische Kirche empfiehlt, die Mundkommunion zu unterlassen, der katholische Erzbischof Vincent Nichols von Westminster rät den Gläubigen, sich zum Friedensgruß nicht mehr die Hände zu reichen, eine "Geste des Friedens" genüge auch - etwa winken? Im Schweizer Kanton St. Gallen will die evangelische Kirche zum virtuellen Gottesdienst per Webcam übergehen, sollte sich die Pandemie ausbreiten.

In Deutschland reagieren die Kirchen gelassen. Angesichts der geringen Zahl der Fälle könne man unbesorgt zur Kommunion gehen, die Hand zum Friedensgruß reichen oder wallfahren, sagt eine Sprecherin der Bischofskonferenz. Zur Gelassenheit rät auch Hamburgs evangelische Bischöfin Maria Jepsen: "Angst oder gar Panik lähmen uns", sagt sie.

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SZ vom 25.07.2009/beu
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