Süddeutsche Zeitung

Schweinegrippe:"Isolierstation? Gegrillt und Bier getrunken"

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Ein genesener Schweinegrippe-Patient spricht über den ersten Gedanken nach der Diagnose, Reaktionen von Freunden - und die mediale Aufregung.

Johannes Boie

Nach Angaben der Weltgesundheitsorganisation sind weltweit bisher 139 Menschen an der Schweinegrippe gestorben. Mehr als 25.000 Menschen in 73 Ländern sind erkrankt. In Deutschland gibt es 78 Fälle von Schweinegrippe, 22 davon in Bayern. Zuletzt haben sich in Würzburg sieben Jugendliche auf einer Party bei einem Mädchen angesteckt, das das Virus von einer Argentinienreise einschleppte. Günther Oster war selber an dem Virus erkrankt. Schwerer zu ertragen als die Grippe war für ihn die Aufregung in den Medien.

SZ: Herr Oster, die Schweinegrippe breitet sich immer weiter aus. Bis heute ist unklar, wie gefährlich das Virus eigentlich ist. Sie hatten die Krankheit, wie erging es Ihnen?

Günther Oster: Ich habe mich in den USA angesteckt, war aber nur sehr kurz wirklich krank. Deshalb finde ich, dass vieles an dem Thema durch Hysterie und Panikmache schlimmer dargestellt wird, als es ist. Als ich in Quarantäne musste, war mein Hauptproblem, wer einkaufen geht.

SZ: Sie möchten nicht mit Ihrem richtigen Namen in der Zeitung stehen.

Oster: Stimmt. Es geht ja bei Krankheiten um sehr persönliche Daten. Das Gesundheitsamt hat so viele Details von mir bekanntgegeben, dass ich in Zeitungsberichten identifizierbar wurde - vor allem für die Einwohner in meinem Heimatort.

SZ: Hatten Leute Angst vor Ihnen?

Oster: Ich glaube nicht. Aber viele Menschen werden sehr neugierig. Das hat mich geärgert, vor allem auch, weil eine Menge Berichte Unwahrheiten enthielten. Die Bild-Zeitung schrieb zum Beispiel online in Bezug auf mich: "Er darf das Krankenhaus verlassen."

SZ: Wo ist das Problem dabei?

Oster: Ich war nie im Krankenhaus.

SZ: Glauben Sie, dass die Schweinegrippe gar nicht so schlimm ist?

Oster: Soweit ich weiß, kommt es darauf an, ob das Virus mutiert. Bislang gab es keine Todesfälle in Deutschland, und meine Erfahrung mit Behörden und Ärzten war - von der Informationspolitik mal abgesehen - positiv. Aber selbst wenn: Auch bei einer normalen Grippewelle sterben Menschen.

SZ: Wie kam es zu Ihrer Ansteckung?

Oster: Ich war auf Geschäftsreise in den USA gewesen, in Arizona. Von Dienstag, dem 28. April, bis zum nächsten Sonntag. Am Samstag kaufte ich Geschenke für meine Tochter in der Shopping Mall. Dort lief mir die Nase - genau wie in Deutschland. Ich habe jedes Jahr im Frühjahr Heuschnupfen. Trotzdem habe ich mir ein Infoblatt, das ich am Flughafen in die Hand gedrückt bekam, genau angeschaut.

Nach dem Flug hab ich gefroren, und als ich mit meiner kleinen Tochter und meiner Frau zum Supermarkt ging, sagte ein Bekannter im Spaß: "Hoffentlich hast du dir keine Schweinegrippe eingefangen." Am nächsten Tag wachte ich mit 38,4 Grad Fieber auf. Da rief ich meinen Hausarzt an.

SZ: War der Arzt sofort alarmiert?

Oster: Er war auf jeden Fall sehr aufmerksam, sagte, ich solle zu Hause bleiben und nicht in die Praxis kommen. Er kam dienstags vorbei, machte einen Abstrich, der ans Robert-Koch-Institut ging. Am Mittwochabend kam dann der Anruf: "Es wurden Grippeviren nachgewiesen." Da hab ich vorsorglich angefangen, Tamiflu zu nehmen. Nach einem zweiten Abstrich war schließlich klar, dass ich die Schweinegrippe habe.

SZ: Was war nach der Diagnose Ihr erster Gedanke?

Oster: Scheiße. Hoffentlich hat die Kleine nichts. Meine Tochter war damals erst neun Wochen alt. Und ich hatte mich zwischenzeitlich informiert, und wusste, dass Kleinkinder Tamiflu nicht so gut vertragen. Ich hatte mit ihr geschmust, seit ich wieder zurück war. Meine Frau und ich haben angefangen, jedes Mal beim Wickeln Fieber zu messen. Zum Glück blieb die Kleine gesund.

SZ: Wie waren die Reaktionen von Verwandten und Bekannten?

Oster: Vor allem haben sie gestaunt. Ich war wohl der Erste in Deutschland, der die Krankheit aus Amerika und nicht aus Mexiko mitgebracht hat. Viele wollten wissen, wie und wo ich mich genau angesteckt habe. Aber das weiß ich ja selber nicht. Meine Firma wollte eine Liste von allen Kollegen, mit denen ich in den USA Kontakt gehabt hatte.

Es wurden auch alle Kunden informiert, mit denen ich dort gesprochen hatte. Meine Mutter sorgte sich vor allem um ihr Enkelkind. Für sie war nach einem Telefonat mit mir klar, dass es mir selber gut ginge.

SZ: Warum mussten Sie nicht auf eine Isolierstation im Krankenhaus?

Oster: Isolierstation? Ich hab zu Hause gegrillt und Weißbier getrunken. Über den Zaun haben wir Scherze mit den Nachbarn gemacht über die Boulevardpresse, die über unseren Grillnachmittag bestimmt getitelt hätte: "Todkranke Familie liegt am Boden."

Schon am Donnerstag, als die endgültige Diagnose kam, ging es mir besser. Raus durften wir allerdings nicht. Das Gesundheitsamt hatte gesagt, wir stünden unter Quarantäne. Unsere Nachbarn haben für uns eingekauft und die Tüten vor die Tür gestellt.

SZ: Wie lange dauert die Quarantäne?

Oster: Am Anfang hieß es, zwischen sieben und zehn Tagen sei normal. Aber schon am Montag, also eine Woche nach den ersten Symptomen erlaubte mir das Gesundheitsamt, wieder vor die Tür und am Tag darauf zur Arbeit zu gehen.

SZ: Bis dahin mussten Sie aber weiterhin Medikamente nehmen?

Oster: Insgesamt nahm ich fünf Tage lang je zwei Tabletten Tamiflu. Meine Frau nahm prophylaktisch zehn Tage lang je eine Tablette. Sie wurde nie krank. Jeden Tag rief das Gesundheitsamt an und fragte, wie es uns ginge. Die wollten alles über Fieberkurven und Schmerzen wissen.

SZ: Woher wissen Sie, dass Sie gesund sind?

Oster: Das hat niemand offiziell bestätigt. Das Gesundheitsamt hat sich auf meine telefonischen Angaben verlassen, die meine Frau und ich immer sehr ehrlich gemacht haben. Es gab auch keine Nachuntersuchungen.

SZ: Wissen Sie, ob Sie Menschen angesteckt haben?

Oster: Soweit ich weiß, nein. Andererseits: Ich selber habe den Arzt nur wegen des Infoblattes, das ich am Flughafen bekam, und wegen meiner sehr kleinen Tochter angerufen. Wer geht schon wegen 38,3 Grad Fieber und ein bisschen Frösteln sofort zum Arzt?

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Quelle:
SZ vom 10.06.2009/gal
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