Süddeutsche Zeitung

Raumstation ISS:Begegnung der unheimlichen Art

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Bange Minuten: Schrott im All zwingt zur kurzfristigen Evakuierung der ISS - angesichts der Größe des Objekts wollte man kein Risiko eingehen.

Alexander Stirn

Der Krater ist beeindruckend, das Geschoss mickrig. 1,2 Zentimeter misst die Aluminiumkugel, die Heiner Klinkrad in der Hand hielt. Der Leiter der Abteilung für Weltraumschrott der europäischen Weltraumagentur Esa demonstrierte damit die Gefahr, die von Hunderten solchen Metallteilen im Orbit ausgehen kann. Auf 26.000 Kilometer pro Stunde beschleunigt, schlug die Kugel einen etwa 15 Zentimeter tiefen Krater in einen massiven Aluminiumblock.

Das Schrottteil, das die Internationale Raumstation ISS am Donnerstagabend nur knapp verfehlte, war wesentlich größer als diese Kugel. Aus Sicherheitsgründen hatten sich die drei Astronauten an Bord bereits in eine Rettungskapsel zurückgezogen und darauf vorbereitet, die Luke hinter sich zuzuziehen. Nach mehreren bangen Minuten des Wartens, während denen der Funk zwischen Station und Bodenkontrolle still blieb, konnten die Missionsverantwortlichen in Houston Entwarnung geben. Das Teil eines ausgedienten Satelliten passierte die Raumstation um 17.39 Uhr MEZ, teilte die amerikanische Weltraumbehörde Nasa mit.

Ursprünglich hatten die Experten der Nasa, die die Bahnen von mehr als 8000 Stück Schrottteilchen überwachen, die Chancen einer Kollision als gering eingeschätzt. Je näher der Weltraummüll im Laufe des Donnerstags kam, desto unruhiger wurden sie aber. Etwa zwei Stunden vor dem Zeitpunkt der größten Annäherung erschien den Missionsmanagern das Risiko schließlich als zu hoch. Die errechnete Gefährdung lag über den zulässigen Werten, sie gaben Alarm.

Zwar sei die Wahrscheinlichkeit eines Zusammenstoßes nach wie vor gering gewesen, angesichts der "ungewöhnlichen Größe" des Objekts wollten die Verantwortlichen aber kein Risiko eingehen. Ersten Spekulationen zufolge soll es sich bei dem Müll um die Überreste eines Iridium-Satelliten gehandelt haben, möglicherweise ein Überbleibsel der Kollision eines russischen und eines amerikanischen Satelliten im vergangenen Monat.

"Wir wüssten gerne, wie groß es war"

Normalerweise kann die Raumstation der Gefahr eines Zusammenstoßes ausweichen. Kleine Triebwerke an Bord des orbitalen Komplexes erlauben es, sie auf eine höhere, ungefährlichere Bahn zu heben. In diesem Fall war die Vorwarnzeit aber zu kurz - und so mussten die Astronauten die Station räumen. Sie schlossen, wie es die Notfallpläne für derartige Situationen vorsehen, die Luken zu allen wichtigen Modulen und begaben sich in eine russische Sojus-Kapsel. Das Raumschiff mit seinen drei Sitzen dient als Rettungsboot für die ISS.

Die Luke der Kapsel musste das Trio allerdings nicht schließen. Nach Informationen der Bodenkontrolle wäre den Astronauten auch nach einem Einschlag noch etwa zehn Minuten Zeit geblieben, um ihr Raumschiff abzuriegeln und sich in Richtung Erde aufzumachen.

Insgesamt musste die ISS-Besatzung etwa zehn Minuten in der engen Kapsel verharren, bevor die Missionskontrolle die Gefahr als gebannt einstufte. Nach und nach nahmen die Astronauten anschließend die hastig aufgegebene Station wieder in Betrieb. Wie nah das Stück Weltraumschrott der Station kam, blieb zunächst unklar. "Wir haben unsere Augen aufgehalten und aus den Fenstern geschaut aber nichts gesehen", funkte Kommandant Mike Fincke kurz nach dem Aussteigen aus der Sojus-Kapsel zurück zur Erde. "Wir würden gerne wissen, wie groß es wirklich war." Die Antwort aus Houston fiel knapp aus: "Ja, das wüssten wir auch gerne."

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SZ vom 13.03.2009/ihe
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