Süddeutsche Zeitung

Prügeln als Sport:Boxer-Hirn in Gefahr

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Anhänger betrachten den geregelten Faustkampf als Sport, Kritiker sehen darin den Versuch, dem Gegner gezielt Hirnverletzung zuzufügen - mit gefährlichen Folgen: Demenz, Depression, Delirium.

Werner Bartens

Nachdem er seinen Gegner George Stevenson 1741 totgeschlagen hatte, führte Jack Broughton den Gebrauch von dämpfenden Handschuhen in den Boxsport ein. 1743 stellte er weitere Kampfregeln auf, etwa dass nach einem Niederschlag bis zehn angezählt wird, eine Runde drei Minuten dauert und Schläge unter der Gürtellinie untersagt sind.

Trotz dieser halbherzigen Schutzmaßnahmen sterben bis heute jedes Jahr etwa zehn Kämpfer an den Folgen des Boxens. Da die Statistiken nicht vollständig sind, liegen die tatsächlichen Zahlen vermutlich höher.

Psychiater, Neurologen und Sportmediziner der Technischen Universität München um Hans Förstl und Martin Halle zeigen im Deutschen Ärzteblatt von dieser Woche, welche Spätfolgen und Komplikationen auf das Boxen zurückzuführen sind (Bd.107, S.835, 2010).

"Es geht ja beim Boxen um die absichtliche und gezielte Hirnverletzung des Gegners", sagt Hans Förstl. Zwar sind viele andere Sportarten ebenfalls mit Gesundheitsrisiken verbunden - beim Fußball, Reiten, Rugby, Klettern oder Skifahren kommt es regelmäßig zu Verletzungen.

Doch dabei ist nicht für Sieg oder Niederlage entscheidend, ob es gelingt, dem Gegner mit einer Aufprallgeschwindigkeit der Faust von zehn Metern pro Sekunde ein möglichst akut wirksames Schädel-Hirn-Trauma zu verpassen, bei dem der Kopf schon mit der mehr als 50-fachen Erdbeschleunigung in Bewegung versetzt wird.

Obgleich über Todesfälle beim Boxen immer wieder berichtet wird, sind chronische Folgen des Faustkampfs noch unterschätzt. Immerhin "zehn bis 20 Prozent der Profiboxer leiden unter neuropsychiatrischen Folgeerkrankungen", hat das Team um Förstl festgestellt:

Ihre Motorik ist gestört, die Boxer zittern, haben Probleme mit der Artikulation, sind spastisch verkrampft und zeigen Symptome wie bei Parkinson. Auch ihre Kognition ist eingeschränkt und sie sind verlangsamt oder leiden unter Gedächtnisstörungen bis hin zur Demenz. Depressionen, Reizbarkeit und Aggressivität sind unter Boxern ebenfalls häufiger - ebenso wie kriminelles Verhalten und Sucht.

Dass eine lange Karriere mit zahlreichen Kämpfen und vielen Niederschlägen das Risiko für Spätfolgen erhöht, ist naheliegend. Stärkeren Gesundheitsgefahren sind aber auch jene Boxer ausgesetzt, die eine Fähigkeit haben, die das Publikum offenbar schätzt: das sogenannte "gute Stehvermögen". Wer "viel einstecken" kann, bis er zu Boden geht, trägt vermehrt mikrostrukturelle Läsionen im Gehirn davon.

Etliche Boxer entwickeln bereits in ihrer aktiven Zeit erkennbar kognitive Defizite, viele Studien belegen die Folgen. Die Hälfte von 632 befragten Profiboxern klagte am Tag nach einem K.o. über Schwindel, Vergesslichkeit, Tinnitus, Gangstörungen oder ähnlichen Symptome.

Amateurboxer erinnerten sich trotz Kopfschutz nach Trainingskämpfen nur verzögert, was allerdings auch bei Kickern nach vielen Kopfbällen zu beobachten ist. Die Neurone wie auch Stützzellen des Nervengewebes werden bei Boxern geschädigt, was sich an Plaque-Ablagerungen und pathologischen Neuro-Fibrillen zeigt.

Die World Medical Association hat 2005 ein generelles Verbot des Boxsports gefordert. Die Britische Ärztevereinigung protestierte 2007 gegen gemischte Kampfformen wie Ultimate Fighting.

Hans Förstl vermisst eine solche Diskussion in Deutschland, vor allem da das Boxen "aus der Schmuddelecke der Privatsender" seit einiger Zeit zum "offensiv beworbenen Programmbestandteil öffentlich-rechtlicherFernsehsender geworden ist".

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Quelle:
SZ vom 24.11.2010
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