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Physik:Frisur der Schwarzen Löcher

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Schwarze Löcher haben ungeahnte individuelle Eigenschaften, meinen Physiker - etwa in Form von Quanten-Haaren. Das ist ein Ansatz zur Lösung eines großen theoretischen Rätsels.

Von Marlene Weiss

Auch für ein noch immer von Männern dominiertes Fach ist es erstaunlich, wie sehr die theoretische Physik auf Frisuren fixiert ist. Seit 1973, als John Wheeler - er selbst mit bereits zurückweichendem Haaransatz - erklärte: "Ein Schwarzes Loch hat keine Haare", wird debattiert, wie es um die Behaarung Schwarzer Löcher bestellt ist. Und während der Laie rätseln mag, wo ein Schwarzes Loch seine Glatze trüge, sind Physiker von dem Problem fasziniert.

Denn dahinter steht eine große Frage: Ist die Welt deterministisch, oder nicht? Wenn eine Suppenterrine auf den Boden fällt und zerspringt, kann man zumindest theoretisch rekonstruieren, welche Scherbe wohin gehört. Aber was, wenn man die Schüssel in ein Schwarzes Loch wirft? Außer Masse, Ladung und Drehimpuls haben Schwarze Löcher, deren starke Gravitation nicht einmal Licht entweichen lässt, keine charakteristischen Eigenschaften. Keine "Haare" also, anhand derer man ein Schwarzes Loch, das Terrinen verschluckt hat, von einem unterscheiden könnte, in dem Essbesteck verschwunden ist.

Problematisch ist das, weil Schwarze Löcher sich komplett im Nichts auflösen können. Bekommen sie keinen Masse-Nachschub mehr, verhungern sie langsam, weil sie ständig Strahlung abgeben, was Stephen Hawking 1975 in einer berühmten Veröffentlichung festgestellt hat. Hat sich ein Schwarzes Loch vollends in Strahlung aufgelöst, wäre aber auch jede Kenntnis darüber, dass die Suppenschüssel je existiert hat, für immer verloren. So etwas finden Physiker problematisch.

Nun haben Stephen Hawking, Malcolm Perry und Andrew Strominger erstmals einen Ansatz für die Lösung des Problems gefunden: eine Möglichkeit, wie Schwarze Löcher doch Hinweise darüber bewahren könnten, was sie einst verschlungen haben. "Schwarze Löcher haben einen üppigen Schopf weicher Haare", schreiben sie in Physical Review Letters. Gemeint sind "weiche" Licht- und Schwerkraft-Teilchen unendlich schwacher Energie. Mit jedem hineingefallenen Objekt, so die Theorie, lagern sich solche Teilchen am Rand des Schwarzen Loches ab. Sie bilden dort eine Art Quanten-Frisur, die zumindest teilweise Ausdruck dessen sein könnte, was einst im Gravitationsschlund des Schwarzen Lochs verschwunden ist.

Die Illustration zeigt indes nicht Quanten-Haare, sondern Staubwolken, die Schwarze Löcher während ihrer Mahlzeiten aufwirbeln können.

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Quelle:
SZ vom 08.06.2016
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