Süddeutsche Zeitung

Botanik:Wenn die Laus die Leitung hackt

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Von Tina Baier

Im zweiten Band von Joanne K. Rowlings Harry-Potter-Saga, "Harry Potter und die Kammer des Schreckens", sollen die jungen Zauberer im Unterricht für Kräuterkunde Alraunen umtopfen. Sie müssen dabei Ohrenschützer tragen, da die Pflanzen anfangen, wie am Spieß zu schreien, sobald man sie aus der Erde zieht - was für den, der die Schreie hört, tödlich enden kann. Zumindest das Schreien ist gar nicht so realitätsfern, denn tatsächlich fangen viele Pflanzen in gewisser Weise an zu schreien, wenn sie angegriffen werden. Zum Beispiel von einem Schädling.

Allerdings können Menschen die Hilferufe von Pflanzen natürlich nicht hören; es sind auch keine Töne, die Gewächse im Fall einer Attacke von sich geben, sondern chemische Substanzen, die durch die Luft transportiert werden. Manchmal locken die Stoffe Ameisen oder Wespen an, die den Schädling fressen oder ihm sonst irgendwie schaden und damit nebenbei der Pflanze helfen. Oft warnen diese Substanzen auch andere Pflanzen in der Umgebung vor dem Angriff. Diese wappnen sich dann und produzieren beispielsweise Gifte, die den Angreifer töten, sobald er ein Stück abbeißt oder Pflanzensaft saugt.

Forscher der China Jiliang University haben jetzt herausgefunden, dass einer der schlimmsten Schädlinge, die Baumwoll-Weiße Fliege ( Bemisia tabaci; auch Tabakmottenschildlaus), eine Pflanzenlaus, die Alarmrufe der Pflanzen manipulieren kann. Wenn eine Weiße Fliege (aus dem Englischen: whitefly) in eine Pflanze sticht, schafft sie es irgendwie, dass das Gewächs die falschen Alarmsignale aussendet. Wie die Forscher zeigen konnten, führt das dazu, dass Nachbarpflanzen sogar noch anfälliger für den Schädling werden, als sie es ohnehin schon sind. Die Arbeit wurde im Fachjournal PNAS veröffentlicht.

Normalerweise fahren Pflanzen ihre Abwehr hoch, wenn ihre Nachbarn angegriffen werden

In ihrem Experiment ließen die Forscher zwei Tomatenpflanzen in voneinander getrennten, abgeschlossenen Glasbehältern wachsen. Die beiden Gefäße waren über ein Rohr miteinander verbunden, durch das Luft und damit auch die gasförmigen Alarmsignale von einer Pflanze zur anderen gelangen konnten. Als sie eine der Pflanzen mit Raupen infizierten, "hörte" die andere offenbar ihre Alarmrufe und reagierte, indem sie ihre Abwehr gegen Insektenfraß hochfuhr. Als die Forscher dann auch auf die vorgewarnte Pflanze Raupen setzten, ging es den Schädlingen bald schlecht.

Infizierten die Forscher die erste Pflanze dagegen mit der Mottenschildlaus, geschah genau das Gegenteil: Die zweite Pflanze fuhr ihre Insektenabwehr sogar herunter. Stattdessen investierte sie in einen anderen Abwehrmechanismus gegen Mikroben. Offenbar hatten die Weißen Fliegen das Kommunikationssystem der Pflanzen irgendwie gekapert, so dass sie falsche Informationen untereinander austauschten. Als die Forscher dann das falsch informierte Gewächs mit den Pflanzenläusen infizierten, hatte der Schädling leichtes Spiel. Innerhalb kürzester Zeit war die Pflanze über und über mit den klebrigen Ausscheidungen der Tiere bedeckt.

Anders als ihr Name vermuten lässt, infiziert die Baumwoll-Weiße Fliege nicht etwa nur Baumwolle, sondern mehr als 500 verschiedene Pflanzen, darunter viele wirtschaftlich wichtige Ackergewächse. Sie ist einer der schlimmsten Schädlinge weltweit und verursacht jedes Jahr Millionenschäden. Woher sie ursprünglich stammt, ist nicht ganz klar, möglicherweise vom indischen Subkontinent. Tatsache ist, dass die kleinen Läuse in den vergangenen 200 Jahren fast die ganze Welt erobert haben. Ihre Fähigkeit, die "Schreie" von Pflanzen zu manipulieren, hat dabei mit Sicherheit eine Rolle gespielt.

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Quelle:
SZ vom 28.03.2019
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