Süddeutsche Zeitung

Nach Fischsterben:"Das Wasser der Oder ist nach wie vor viel zu salzig"

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In der Oder gibt es immer noch viel weniger Fische als vor der Katastrophe im Sommer, sagt Fischökologe Christian Wolter. Die gute Nachricht ist: Keine Art ist komplett verschwunden. Die schlechte: Offenbar wird weiter Abwasser eingeleitet.

Interview: Tina Baier

Fünf Monate sind seit der Oderkatastrophe vergangen, bei der mehr als tausend Tonnen Fische verendet sind. Christian Wolter, Fischökologe am Leibniz-Institut für Gewässerökologie und Binnenfischerei in Berlin, war an der Aufklärung der Ursache beteiligt. Mittlerweile ist klar: Die Schäden im Ökosystem sind immens - und die Katastrophe könnte sich wiederholen. Im Gespräch mit der SZ erklärt Wolter, was sich ändern müsste.

SZ: Geht es der Oder mittlerweile etwas besser?

Christian Wolter: Der Sauerstoffgehalt hat sich aufgrund der niedrigeren Temperaturen jetzt im Winter normalisiert. Das ist natürlich gut. Allerdings hatten die Lebensgemeinschaften im Fluss noch gar keine Gelegenheit, sich zu erholen. Die meisten Fische und anderen Organismen befinden sich in einer Art Winterruhe. Ob sich die Fische erholt haben, können wir deshalb erst im Frühjahr beurteilen, wenn sie gelaicht haben und vielleicht neue Tiere aus Nebengewässern zugewandert sind. Zwei Fischarten hatten Glück, weil sie zum Zeitpunkt der Katastrophe im August gar nicht in der Oder waren: die große Quappe und der Ostseeschnäpel. Beide wandern erst im November aus der Ostsee ein, um in der Oder zu laichen. Beiden scheint es gut zu gehen, zumindest haben wir von beiden mehrere Exemplare gesichtet.

Wie sieht es bei anderen Arten aus?

Wenig Fisch. Von der Güster, einer der Hauptfischarten in der Oder, haben wir im Frühjahr vor der Katastrophe auf der Strecke von Hohensaaten bis zum Marienhofer Wehr 1500 Exemplare gefangen. Im Herbst nach der Katastrophe waren es im selben Abschnitt nur noch acht. Zopen und Rapfen haben wir gar keine gefangen; auch keinen einzigen Stromgründling, im Frühjahr waren es noch mehr als 200. Die Einbrüche sind massiv.

Heißt das, dass es diese Fische in der Oder nicht mehr gibt?

Nein, wir sind ja nur eine genau festgelegte Strecke abgefahren. Anderswo im Fluss gibt es diese Fische zum Glück noch. Von einigen Arten wie Blei, Zander und Hecht haben auch große Exemplare die Katastrophe überlebt; das ist wichtig, weil große Tiere auch viel Laich produzieren und für viel Nachwuchs sorgen. Es gibt also Erholungspotenzial. Voraussetzung ist allerdings, dass die Wasserwerte nicht wieder schlechter werden.

Gibt es dafür Anzeichen?

Ja, das Wasser der Oder ist nach wie vor viel zu salzig. Das zeigen Messungen der Leitfähigkeit. Vergangene Woche lag der Wert am Pegel Frankfurt bei 1400 Mikrosiemens. Im Herbst lagen die Werte sogar immer wieder bei mehr als 2000 Mikrosiemens.

Bedeutet das, dass trotz der Katastrophe im Sommer weiter salzhaltiges Abwasser in die Oder eingeleitet wird?

Ja, genau! Und es ist wie im Sommer Natriumchlorid, also Kochsalz, das haben meine Kollegen im Labor herausgefunden. Das hat mich wirklich entsetzt, zumal es in Polen sogar einen Grenzwert für die Leitfähigkeit von 850 Mikrosiemens gibt. In Deutschland gilt ein Orientierungswert von 200 Milligramm Chlorid pro Liter. In der Oder wird dieser Wert seit dem Jahr 2015 kontinuierlich überschritten. Das ist bekannt, aber niemand tut etwas dagegen.

Heißt das, dass sich die Katastrophe nächsten Sommer wiederholt?

Wenn sich nichts ändert, ist das sehr wahrscheinlich. Kochsalz ist genau die Substanz, die die Brackwasseralge Prymnesium parvum braucht ...

Die Alge also, die sich im Sommer aufgrund des hohen Salzgehalts in der Oder massenhaft vermehrt und ein Toxin produziert hat, das die Ursache des Fischsterbens war.

Ja, genau! Dauerstadien dieser Alge kommen nach der Massenvermehrung letztes Jahr mit Sicherheit noch in der Oder vor. Wenn die Salzkonzentration weiter so hoch bleibt und die Temperaturen wieder ansteigen, hat die Alge ideale Bedingungen und wird sich mit hoher Wahrscheinlichkeit wieder vermehren und das Toxin bilden.

Weiß man mittlerweile, wer die salzhaltigen Abwässer in die Oder eingeleitet hat und anscheinend immer noch einleitet?

Nein. Sicher ist aber, dass es irgendwo in Polen passiert, weil die Oder schon mit dieser hohen Leitfähigkeit in Deutschland ankommt.

Das müsste doch eigentlich herauszufinden sein, indem man misst, an welcher Stelle der Salzgehalt plötzlich ansteigt, und dann schaut, welche Unternehmen dort sind.

Ja, das sollte nicht so schwierig sein, mir liegen allerdings keine offiziellen Leitfähigkeitswerte aus Polen vor. Mithilfe von Satellitenbildern ließ sich ermitteln, wo die Konzentration von Chlorophyll a im Sommer plötzlich angestiegen ist, das heißt, wo sich Algenblüten gebildet hatten. Ob es Prymnesium-parvum-Blüten waren und ob an diesen Stellen der Salzgehalt hoch war, ließe sich aber nur anhand von Wasserproben ermitteln. Möglicherweise ist es aber politisch gar nicht gewollt, einen Schuldigen zu finden. Meine Hoffnung ist, dass jetzt bei den kühlen Temperaturen, wo das Algenwachstum geringer ist, Tanks oder Speicherbecken mit Abwasser leer gemacht werden, um dann im Sommer nichts mehr einzuleiten. Ich hoffe für die Oder, dass die Verantwortlichen trotz allem etwas gelernt haben aus der Katastrophe im Sommer und dass ihnen klar ist, dass so etwas nicht noch einmal passieren darf.

Und wenn es doch wieder passiert?

Das wäre der GAU. Ich glaube nicht, dass sich die Oder dann wieder erholen könnte. Aber das mag ich mir gar nicht ausmalen.

In der Oder bei Reitwein lebte vor der Katastrophe die einzige Population des Baltischen Goldsteinbeißers in ganz Deutschland. Wissen Sie, ob diese seltenen Fische überlebt haben?

Wir haben bei Reitwein nachgesehen und keinen einzigen Goldsteinbeißer gefunden. Ich dachte schon, die Population wäre erloschen, aber dann haben wir an einer anderen Stelle weiter stromaufwärts doch noch zehn Goldsteinbeißer entdeckt. Vielleicht existierte dort, bisher unerkannt, schon länger eine Population, oder die Fische sind vor der Giftwelle dorthin geflohen. Wichtig ist: Den Goldsteinbeißer gibt es in der Oder noch. Das hat mich sehr gefreut.

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