Süddeutsche Zeitung

Neurowissenschaft:Ratten auf Spritztour

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Von Nora Ederer

Ratten sind ziemlich schlau. Sie können Gegenstände erkennen, Hebel gezielt drücken und Hindernisse überwinden. 2005 sorgte eine Wanderratte für Aufsehen, weil sie es schaffte, sich mehr als vier Monate vor Biologen auf einer neuseeländischen Insel zu verstecken. Die Wissenschaftler hatten das Tier dort ausgesetzt und wollten es nach Experimenten mit einem Peilsender wieder einfangen. Doch das Tier entwischte den Biologen immer wieder und schwamm sogar 400 Meter bis zur Nachbarinsel. Nun haben US-amerikanische Neurowissenschaftler mehreren Laborratten das Autofahren beigebracht, wie sie im Fachblatt Behavioural Brain Research berichten.

Dafür gewöhnte ein Team um Kelly Lambert von der University of Richmond 17 Long-Evans-Ratten an ein eigens für diesen Zweck gebautes Fahrzeug und ließen sie zu einer Süßigkeit am anderen Ende eines Trainingsplatzes fahren. Wurden die schwarz-weißen Tiere in einem Käfig mit Beschäftigungsmöglichkeiten, wie Tannenzapfen oder Plastikbällen, großgezogen, meisterten sie diese komplexe Aufgabe ohne Probleme.

Ratten, die in einem gewöhnlichen Laborkäfig aufwuchsen, taten sich schwerer; außerdem zeigten sie deutlich weniger Interesse daran, das Fahren überhaupt zu lernen. Lambert und ihre Kollegen übten dreimal wöchentlich mit ihren Schützlingen für je fünf Minuten. Sie motivierten die Ratten immer weitere Strecken zurückzulegen, indem sie den Abstand zwischen Start- und Endpunkt Stück für Stück vergrößerten. Nach acht Wochen Training schafften es die Tiere, eine Distanz von bis zu 1,40 Metern mit dem Wagen zu fahren - und das nicht nur geradeaus, sondern inklusive komplexer Lenkmanöver.

Das Fahrzeug bestand aus einer durchsichtigen Plastikbox auf einem Roboter mit vier Rädern. In die Box, die als Fahrerhäuschen diente, schnitten die Forscher ein Fenster und spannten es mit Kupferdrähten aus. Außerdem legten sie eine Aluminiumplatte auf den Boden der Fahrerkabine. Standen die Ratten auf der Aluplatte und berührten einen der Kupferdrähte mit ihren Pfoten, schloss sich ein Stromkreis und der Wagen fuhr los. Je nachdem, an welcher Stelle die Tiere die Drähte berührten, bewegte er sich nach links, rechts oder geradeaus.

Anhand der tierischen Ausscheidungen konnten die Neurowissenschaftler auch den Hormonhaushalt der fahrenden Ratten untersuchen. Offensichtlich werden die Tiere durch regelmäßige Spritztouren entspannter - aber nur, wenn sie dabei selbst das Auto lenken; saßen die Ratten in einem ferngesteuerten Wagen, setzte der Effekt nicht ein. Deshalb vermuten Lambert und ihr Team, dass das Fahrtraining die Tiere widerstandsfähiger gegen Stress macht.

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Quelle:
SZ vom 28.10.2019
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