Süddeutsche Zeitung

Nanotechnologie:Die Welt der sehr, sehr kleinen Dinge

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Forscher entwerfen winzige Rotoren, Schalter und Klappkäfige, die vor allem im Kampf gegen Krankheiten zu wertvollen Helfern werden könnten.

Von Andrea Hoferichter

Im kleinsten Auto der Welt hätte nicht einmal ein Floh Platz. Das Gefährt misst nur wenige Milliardstel Meter und ist aus einem einzigen Molekül gebaut. Fahrerlos und mit Allradantrieb fährt es über eine Kupferplatte. Eigentlich ist es eher ein Rumpeln, denn im Nanoreich gibt es keine perfekten Rundungen, keine wirklich glatten Flächen. Jedes Atom macht sich bemerkbar. Die "Räder" drehen sich zudem nicht im klassischen Sinn, sondern dadurch, dass Molekülteile immer wieder um 180 Grad umklappen. Die molekularen Flickflacks werden von Elektronen aus der hauchdünnen Spitze eines Rastertunnelmikroskops angestoßen.

Das XXS-Elektroauto ist wohl das berühmteste Beispiel aus der Welt der Nanomaschinen. Der Erfinder Ben Feringa von der Universität Groningen in den Niederlanden, erhielt 2016 zusammen mit dem Franzosen Jean-Pierre Sauvage und dem Briten Sir Fraser Stoddart den Nobelpreis für Chemie. Das Trio habe die Chemie in eine neue Dimension geführt, lobte die Jury.

Sauvage entwickelte Anfang der Achtzigerjahre eine Methode, mit der sich ringförmige Moleküle lose ineinander verhaken lassen wie zwei Kettenglieder. Stoddart wiederum präsentierte in den Neunzigern einen Molekülring, der "aufgefädelt" auf ein langes Teilchen wie ein Shuttle zwischen zwei Positionen hin und her springt. Mit zwei Ringen, die sich so aufeinander zu- beziehungsweise voneinander wegbewegen, schuf er später eine Art Muskel, der eine hauchdünne Metallfolie verbiegen kann. "Es war eine einzigartige Zeit. Wir standen sozusagen am Eingang einer Goldmine", sagte Stoddart in einem Interview mit der Zeitschrift Nano now. Gerne habe er seine Studenten abends mit dem Auftrag nach Hause geschickt, am nächsten Tag mit "39 neuen Ideen" wiederzukommen. Oft mit Erfolg.

Der Startschuss für den Goldrausch im "Maschinchenbau" fiel schon 1959, als der Physik-Nobelpreisträger Richard Feynman am California Institute of Technology Wissenschaftler dazu aufrief, die Welt der sehr, sehr kleinen Dinge - den Begriff "Nanotechnologie" gab es damals noch nicht - zu erforschen, und erste innovative Designmöglichkeiten anriss. Seither machen spektakuläre Visionen die Runde, von Nanomaschinen, die wie U-Boote mit dem Blutstrom durch den Körper reisen, gezielt Medikamente etwa in Krebszellen schleusen oder Krankheiten diagnostizieren. Von Bauteilen für kleinste Computerchips und winzigen Maschinen, die Farben, Kunststoffe oder Pharmaka zusammenbauen wie Roboter ein Auto am Fließband.

Um solche Träume wahr werden zu lassen, entwerfen Forschergruppen auf der ganzen Welt immer wieder neue Molekülarchitekturen. Sie kreieren Teilchen, die ihre Struktur ändern, wenn Licht eingestrahlt wird, wenn sich die Temperatur oder der pH-Wert ändert oder andere Substanzen zugegeben werden. Dabei werden Bindungen gelöst und neu geknüpft, maßgeschneiderte Molekülbaugruppen in immer neue Positionen gezwungen, bis eine kontinuierliche Bewegung entsteht.

Es gibt bereits eine Technologie, die auf molekularen Maschinen basiert - sie heißt Biologie

Viele Arbeitsgruppen nehmen dabei die Natur als Vorbild. "Es gibt bereits eine funktionierende Nanotechnologie, die auf molekularen Maschinen basiert. Sie heißt Biologie", sagt David Leigh von der Manchester University in Großbritannien. Um etwa einen Muskel zu bewegen, ändern verschiedene Proteine scharenweise ihre Struktur. Andere transportieren überlebenswichtige Substanzen in den Zellen von A nach B oder produzieren den Zellbrennstoff Adenosintriphosphat (ATP). Auch die Proteinproduktion selber ist ein Meisterstück der natürlichen Nanotechnologie. Leigh präsentierte vor ein paar Jahren einen stark vereinfachten Nachbau: ein Ringmolekül mit einer Art Roboterarm, aufgefädelt auf einen Strang, das dort an mehreren Stationen Aminosäuren, die Grundbausteine aller Proteine, einsammelt und aneinanderreiht.

Hendrik Dietz von der Technischen Universität München (TUM) arbeitet ebenfalls mit naturnahen Molekülen, vor allem mit DNA-Strängen, ähnlich denen, die unserem Erbgut zugrunde liegen. "Sie sind gut verstanden und man kann sie sich in den unterschiedlichsten Varianten einfach per Post liefern lassen", sagt er. Im Vergleich zu Feringas Auto seien die DNA-Moleküle wesentlich komplexer und echte Schwergewichte, dafür könne man aber auch mehr Funktionalitäten integrieren. Dietz' Team kombiniert verschiedene DNA-Stränge miteinander und mit extra dafür entworfenen Eiweißmolekülen. Die Komponenten werden dazu in einer Flüssigkeit gemischt und verschlingen sich dann wie von Geisterhand nach einem vorab entworfenen Bauplan miteinander. "Wir gestalten die Komponenten komplementär zueinander, sodass sie wie Puzzleteile ineinandergreifen", erklärt Dietz. Dabei werden die Teilchen von eher schwachen physikalischen Wechselwirkungen zusammengehalten. Das ist von Vorteil, wenn etwa ein anhaftender medizinischer Wirkstoff am Zielort wieder losgelassen werden muss.

Die Forscher aus München haben unter anderem einen winkenden Roboter und ein schaltbares Zahnrad gebaut, die in einem Spezialmikroskop als hellgraue Konstrukte vor dunkelgrauem Hintergrund zu sehen sind. "Als Nächstes wollen wir in den relativ großen Molekülen noch kleinere Strukturen programmieren, um einer medizinischen Anwendung näher zu kommen", berichtet der Forscher. Sein Team sucht außerdem nach einer geeigneten Energieversorgung. Man könne zum Beispiel Wärme nutzen oder einen lichtgesteuerten Schalter anbringen. "Unser Traum ist aber, einen geeigneten chemischen Brennstoff zu finden, wie das ATP in biologischen Zellen", betont er.

Auf die nanotechnologische Faltkunst namens DNA-Origami setzen auch Forscher um Shawn Douglas von der Harvard University in Boston, USA. Im Fachblatt Science präsentierten sie 2012 einen aufklappbaren Nanokäfig, mit dem medizinische Wirkstoffe gezielt in kranke Zellen gebracht werden können. Die Käfigverschlüsse sind so konzipiert, dass sie die Oberflächenstruktur von Krebszellen erkennen, dort wie ein passendes Puzzleteil andocken, sich öffnen und den Wirkstoff freisetzen. Erste Laborversuche mit Leukämie- und Lymphomzellen sollen erfolgreich gewesen sein. Einen ähnlichen Nanowirkstoffkäfig aus einfacher gestrickten Molekülketten stellten niederländische Forscher kürzlich im Fachblatt Angewandte Chemie vor. Hier funktioniert die Substanz Glutathion als Türöffner, die in Krebszellen oft in besonders hohen Konzentrationen vorhanden ist.

Die Veröffentlichungen zum Thema Nanomaschinen sind zahlreich. Auch nach Superlativen muss man nicht lange suchen. Forscher der Universitäten Erlangen, Mainz und Kassel etwa stellten 2016 in Science die "kleinste Wärmekraftmaschine der Welt" aus nur einem einzigen Kalziumatom vor. Das Atom könne mit elektrischen Rauschsignalen und Laserstrahl in immer größere Schwingungen versetzt werden und so Energie speichern. Und man könne daraus einen Einatomkühlschrank bauen. Den "ersten Motor mit chemischen Antrieb" wiederum will David Leigh gebaut haben. Im Wissenschaftsmagazin Nature präsentierte er 2016 zwei miteinander verkettete Molekülringe, von denen einer um den anderen rotiert.

Wann und wofür Nanomaschinen zum praktischen Einsatz kommen, bleibt abzuwarten. "Bisher können Nanomaschinen noch nichts Nützliches, was nicht auch mit konventioneller Physik oder Chemie erreichbar wäre", räumt Leigh ein. Dennoch ist er optimistisch, dass es bald eine Art Killerapplikation geben wird, die den Maschinchen zum Durchbruch verhilft. "Die schnellen Fortschritte der letzten zwanzig, dreißig Jahre weisen darauf hin, dass die Zeit nicht allzu fern ist."

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Quelle:
SZ vom 29.06.2017
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