Süddeutsche Zeitung

Psychologie:Ethische Spaßbremsen

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Von Sebastian Herrmann

Wenn Witze zünden, entfachen sie meist auch Zweifel. Irgendjemand spricht dann stets die Frage aus: Darf man darüber lachen? In Witzen schlummert oft das Potenzial, dass sich jemand auf den Schlips getreten oder herabgewürdigt fühlt und beleidigt reagiert. Mark Twain hat einst den Nagel zielgenau erwischt, als er sagte: "Im Himmel gibt es keinen Humor." Der Autor stellte sich das Paradies wohl als ewige Tugendparade vor, in der selbst feinste moralische Verfehlungen verkniffene Missbilligung statt befreiendes Gelächter auslösen. Twain bediente damit das Klischee vom spaßbefreiten Moralisten, und dass dieses Stereotyp zutrifft, zeigen nun Psychologen im Journal of Personality and Social Psychology.

Wer besondere ethische Maßstäbe an sich selbst anlegt, provoziert damit oft wütende Ablehnung

Menschen mit ausgeprägtem moralischen Selbstverständnis verfügen demnach über einen eher reduzierten Sinn für Humor. Die Wissenschaftler um Kai Chi Yam von der National University of Singapore und Christopher Barnes von der University of Washington ziehen diesen Schluss aus zahlreichen Einzelexperimenten mit mehreren hundert Teilnehmern.

Für die Versuche aktivierten die Forscher zum Beispiel das moralische Selbstbild der Probanden, indem diese über Situationen berichten sollten, in denen sie sich ethisch einwandfrei verhalten hatten. Alternativ ermittelten die Psychologen das ethische Selbst der Probanden mit etablierten Methoden. Mussten die Teilnehmer anschließend Witze bewerten oder selbst mit humorvollen Ideen auftrumpfen, zeigte sich: Tugendhaftigkeit bremst den Spaß.

Besonders galt das, wenn die Späße kleine ethische Tabubrüche beinhalteten. Auf die Frage "Darf man darüber lachen?" gaben sich die Spaßbremsen selbst die Antwort: "Nein, darf man nicht". Offenbar stellt es das Selbstbild als guter Mensch infrage, über derbe Witze zu lachen. Aus anderen Studien ist bekannt, dass schon Gedanken an ethisch fragwürdige Taten dazu verleiten können, sich selbst Buße aufzuerlegen. Da vermeidet der tugendhaft Gestrenge also lieber gleich die Sünde des Gelächters, um keine Sühne leisten zu müssen.

Diese Form der Auto-Spaßbefreiung kompensieren diese Menschen übrigens nicht, indem sie besonders eifrig ethisch einwandfreie Witze reißen, wie die Psychologen beobachtet haben. Das liegt ihnen nämlich auch nicht. Besser kommen ohnehin die rohen Zoten an, wie die Studie zeigt: Hunderte Teilnehmer bewerteten die Witze und fanden jene am lustigsten, die moralische Tabus berührten.

Hohe ethische Maßstäbe an sich selbst anzulegen, sei selbstverständlich wertvoll, sagen die Psychologen, und mit wertvollen positiven Effekten verknüpft - etwa bessere Kooperationsbereitschaft oder ein ausgeprägteres prosoziales Verhalten. Doch auch diese wünschenswerten Ergebnisse kämen zu einem Preis, so die Wissenschaftler. In weiteren Versuchen in Firmen in China und den USA zeigte sich, dass die humorbefreiten Tugendmenschen bei Kollegen nicht besonders sympathisch rüberkommen.

Dieser Teilbefund passt zu zahlreichen anderen Ergebnissen: Wer an sich selbst hohe ethische Standards anlegt, wandelt als impliziter moralische Vorwurf an alle anderen durch das Leben. Das provoziert Aversion, was sich durch ein paar grenzwertige Witze vielleicht aufbrechen ließe - wenn man denn darüber lachen könnte.

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Quelle:
SZ vom 11.01.2019
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