Süddeutsche Zeitung

Archäologie:Im Tempel des Häutungs-Gottes

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Von Tobias Kühn

Der Frühling wird gemeinhin als die Jahreszeit des Aufbruchs verstanden, nur sah der bei den Azteken ziemlich blutig aus: Xipe Tótec, den Gott des Frühjahrs und der neuen Vegetation, erkannte man daran, dass er die Haut eines ihm geopferten Menschen trug. Archäologen in Mexiko sind sich sicher, nun erstmals eine Kultstätte dieser Gottheit gefunden zu haben. Errichtet wurde sie vom Volk der Popoloca zwischen 1000 und 1260 im Gebiet des heutigen mexikanischen Bundesstaats Puebla, das später von den Azteken erobert wurde. Dass die Tempelanlage aus der Zeit davor stammt, belegt, dass die Azteken den Kult von anderen Völkern übernommen haben.

Die Darstellung des Gottes Xipe Tótec ist martialisch: Neben der menschlichen Haut, die seinen Oberkörper bedeckt, erkennt man ihn an einer zusätzlichen rechten Hand. Diese hängt als Verlängerung an seinem linken Arm und soll die Hand des Opfers symbolisieren. "Bildhauerisch gesehen ist es ein sehr schönes Stück", freut sich die leitende Archäologin Noemí Castillo. Bisher wurden zwei Schädel und ein Torso gefunden. Die Forscher vermuten, dass der Gott symbolisch "getötet" und zerstückelt wurde und dass daher in Zukunft noch andere Körperteile entdeckt werden könnten.

Priester trugen die Haut der Opfer

Aus heutiger Sicht ist die Kultstätte schön anzusehen. Gleichzeitig steht sie aber für eine grausige Realität, da für den Aztekengott viele Menschen ihr Leben lassen mussten. Ihm war das Fest Tlacaxipeualiztli gewidmet, in dessen Verlauf Kriegsgefangene in einer Art Gladiatorenkampf geopfert wurden. Es war ein ungleicher Kampf, denn das Opfer kämpfte mit einem Schwert, dessen Klinge durch eine Feder ersetzt worden war, gegen einen erfahrenen Soldaten. Anschließend wurde das Opfer gehäutet.

Die Altäre, in deren Umfeld diese Rituale stattfanden, entdeckten die Archäologen ebenfalls. Noch ist nicht klar, ob sie nach Abschluss der Ausgrabungen der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden können. Falls aber doch würden Besucher dann auch an den aus heutiger Sicht vermutlich bizarrsten Teil der Zeremonie erinnert: Nachdem man dem Opfer seine Haut abgezogen hatte, wurde diese zwanzig Tage lang von Priestern und Büßern getragen, die dadurch den Gott selber verkörperten. Am Ende dieser Zeit stank die Haut so stark, dass man davon Kopfschmerzen bekam. Das Abfallen der Haut symbolisierte Erneuerung - ein blutiger Frühling.

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SZ vom 07.01.2019
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