Süddeutsche Zeitung

Umwelt:Ein unterschätzter Schadstoff

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In vielen Gebieten können sich Tiere künstlicher Beleuchtung nicht entziehen. Das bringt nicht nur den Biorhythmus vieler Arten durcheinander - für manche bedeutet es sogar den Tod.

Von Julian Rodemann

Als vor gut einer Woche die Uhren von der Sommer- auf die Winterzeit umgestellt wurden, klagten - wie jedes Jahr - einige über die Verschiebung: Die längere Nacht bringe den eigenen Biorhythmus durcheinander, die innere Uhr gerate aus dem Takt. Im vergangenen Jahr gaben in einer Umfrage im Auftrag der Krankenkasse DAK mehr als drei Viertel der Befragten an, schon einmal Probleme mit der Umstellung gehabt zu haben. Doch wenn schon eine Verschiebung des Tageslichts um nur eine Stunde menschliche Biorhythmen durcheinander bringen kann, wie muss es dann erst all den Tieren, etwa Vogel- oder Insektenarten, gehen, die in vielen Gebieten seit Jahrzehnten künstlichem Licht ausgesetzt sind, dem sie sich nicht entziehen können?

Eine derart allgemeine Frage verlässlich zu beantworten, ist nicht leicht - zu komplex sind die Ökosysteme mit all ihren Wechselwirkungen, hinzu kommen allerhand örtliche Besonderheiten. Forscher untersuchen daher meist den Einfluss bestimmter Lichtquellen auf bestimmte Arten in bestimmten Regionen. Um aus diesen Puzzleteilen ein vollständiges Bild zusammenzusetzen, bleibt schließlich der Weg der Meta-Analyse: Darin fassen Wissenschaftler die Ergebnisse bereits publizierter Studien zusammen und gelangen so zu neuen Erkenntnissen.

Künstliches Licht bringt Schildkrötenjunge vom Weg ins Meer ab

Forscher um Kevin Gaston von der Universität Exeter kommen nun in einer solchen Untersuchung von 126 Studien über die Effekte künstlichen Lichts auf mehr als 1100 Tierarten zu einem klaren Ergebnis: Die Lichtemissionen bringen den Biorhythmus und das Fortpflanzungsverhalten von Tieren massiv durcheinander. Besonders stark sei der Effekt auf den Hormonhaushalt vieler Tiere und den Biorhythmus nachtaktiver Arten, schreiben die Wissenschaftler um Gaston im Fachjournal Nature Ecology & Evolution. Wie vom Klimawandel profitierten auch von der Lichtverschmutzung bestimmte Arten unter gewissen Bedingungen. Der Gesamteffekt sei aber negativ. "Die klare Botschaft dieser Studie ist, dass Lichtquellen reduziert werden sollten, wo das möglich ist", sagt Gaston. Lichtverschmutzung zerstöre die Natur. "Wir sollten Licht deshalb wie andere Schadstoffe sehen."

Die untersuchten Studien zeigen zum Beispiel, dass tagesaktive Vögel durch künstliches Licht dazu animiert werden, früher zu singen und auf Futtersuche zu gehen. Nachtaktive Nagetiere hingegen schlafen deutlich länger. Beides kann Nahrungsketten und damit Ökosysteme durcheinander bringen. Eindeutig waren auch die Hormon-Untersuchungen: Bei allen betrachteten Arten sorgen Straßenlaternen und andere Lichtquellen dafür, dass geringere Mengen des schlaffördernden Hormons Melatonin ausgeschüttet werden. Welche Wirkungen künstliches Licht auf die Fortpflanzung und die Populationen hat, zeigt das Beispiel der Meeresschildkröten. Sie legen ihre Eier am Strand, von wo aus die Jungtiere nach dem Schlüpfen den Weg in den Ozean finden müssen. Lichtquellen an der Küste verwirren die jungen Schildkröten jedoch, viele wandern in die falsche Richtung und schaffen es nicht ins Meer.

Übrigens sind nicht nur Straßenlaternen das Problem. Forscher haben in einer kürzlich im Fachjournal Lighting Research and Technology erschienenen Studie gezeigt, dass Laternen nur für maximal ein Fünftel des künstlichen Lichts verantwortlich sind - jedenfalls in Tuscon, Arizona, wo die Wissenschaftler in einem Experiment etwa 20 000 Straßenlaternen unterschiedlich hell dimmten und mithilfe von Satelliten beobachteten, wie sich die Gesamthelligkeit der Großstadt veränderte. Neben Laternen tragen demzufolge helle Fenster, Fassadenbeleuchtung oder Leuchtreklame zur Lichtemission bei.

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