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Insekten:Was sticht denn da?

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Jetzt legen sie wieder los, die Ruhestörer im Schlafzimmer, die Quälgeister am Badesee. Die Mückensaison hat begonnen. Der Mensch reagiert mit dem Einsatz von Gift, die Insekten setzen auf massive Vermehrung.

Von Katrin Blawat

Wenn der Mensch der Mücke nachhaltig eins auswischen will, bleiben ihm nicht viele Möglichkeiten. Insekten sind ein Erfolgsmodell der Evolution, gegen das kein Gift dieser Erde dauerhaft etwas auszurichten vermag. Nur mit seiner mächtigsten Waffe, der Sprache, kann der Mensch Rache nehmen für juckende Stiche und das nervtötende Sirren im nächtlichen Schlafzimmer. So hat er zwei Stechmückenarten wenig schmeichelhafte, dafür aber überaus vielsagende Namen gegeben: "Lästiger Quälgeist" (Aedes vexans) und "Stechender Tunichtgut" (Ochlerotatus sticticus). Doreen Walther, Mückenexpertin am Leibniz-Zentrum für Agrarlandschaftsforschung (Zalf) im brandenburgischen Müncheberg, legt noch eins drauf: "Fiese, kleine Stecher" seien die sogenannten Überschwemmungsmücken, zu denen die beiden Arten gehören.

Überschwemmungsmücken sind vielen Menschen weniger bekannt als die Gemeine Hausmücke Culex pipiens (die zwar auch gemein stechen kann, deren deutscher Name aber für "üblich" oder "verbreitet" steht). Doch wenn an einem Wochenende am Seeufer oder Flussarm Mückenschwärme wie aus dem Nichts aufzutauchen scheinen und, wie kürzlich am oberbayerischen Ammersee, sogar zur kurzzeitigen Schließung eines Lokals führen, dann handelt es sich oft um Überschwemmungsmücken.

Sie legen ihre Eier in Gewässernähe in trockene Kuhlen. Zur Not, das heißt bei anhaltender Trockenheit, überdauern sie dort jahrelang, haben Labortests gezeigt. Steigt aber der Wasserspiegel, werden die Senken überflutet. "Es reichen leicht schwankende Pegelstände", sagt Walther. Das wissen die sich entwickelnden Mücken zu nutzen: Auf einen Schlag schlüpfen die Larven mehrerer Mückengenerationen. Das geschieht zwar auch ohne großflächige Überschwemmungen, die es bis in die Nachrichten schaffen. Doch in Jahren mit viel Hochwasser fällt die Plage besonders schlimm aus, sagt Norbert Becker, wissenschaftlicher Direktor der Aktionsgemeinschaft zur Bekämpfung der Schnakenplage (Kabs). Das immerhin ist derzeit nicht der Fall.

Wintermücke: 5 mm groß; ähnlich der Kohlschnake, hat aber kürzere Beine und fadenförmige Flügel. Man findet sie von Winter bis Frühling meist an Grasplätzen. Sie ist vollkommen harmlos - man muss also keine Angst haben vor den riesigen Schwärmen, in denen an sonnigen Wintertagen oft Millionen von Tieren umeinander tanzen.

Sandmücke: 2 mm groß. Typisch sind die erhobenen, stark behaarten Flügel. Sie findet sich von Juni bis August in der Nähe ihrer Brutplätze, etwa in Höhlen, vor allem in Südeuropa. Nachts sticht sie in dünne Hautpartien in Gesicht und Nacken, an Händen und Füßen. Das führt zu Juckreiz. Sie kann auch die Viren des Drei-Tage-Fiebers übertragen.

Tigermücke: 2 bis 10 mm große, auffällig schwarz-weiß gemustert. Sie lebt in städtischen und ländlichen Gebieten, im Wald in der Nähe menschlicher Siedlungen. Früher war sie vor allem in Südostasien zu finden, mittlerweile auch in Europa und im Süden Deutschlands. Kann Tropenkrankheiten wie Chikungunya- und Dengue-Fieber übertragen.

Fiebermücke: 6 bis 8 mm; Flügel mit dunklen Flecken. Sie ist von April bis Oktober im offenen Gelände aktiv und überwintert im Stall. Sie ist gefürchtet als Malaria-Überträgerin, allerdings nicht in Europa, wo die Krankheit ausgerottet ist. Wegen ihrer schrägen Haltung beim Stechen lässt sie sich gut von anderen Gattungen unterscheiden.

Kriebelmücke: 3 bis 6 mm groß. Von der Seite betrachtet ist sie buckelig, ihr Saugrüssel ist kurz und kräftig. Sie lebt von März bis September an leicht verunreinigtem Fließgewässer. Sie sticht am liebsten vor Gewittern. Ihr giftiger Speichel schädigt rote Blutkörperchen und hemmt die Blutgerinnung, zum Glück hat sie es meist auf Rinder abgesehen.

Goldaugenbremse: 9 bis 11 mm groß. Augen leuchtend grün mit violetten Flecken, dicker Saugrüssel. In den Monaten Mai bis September findet sie sich vor allem am Waldrand und in feuchtem Gelände. Sie sticht meist in den Kopf. Wie bei allen Bremsen sticht nur das Weibchen. Mehr als Menschen noch liebt sie das Weidevieh.

Schmetterlingsmücke: 2 mm groß. Sie ist stark behaart und hat zwar Flügel wie ein Schmetterling, ist aber längst nicht so hübsch. Außerdem ist sie ein schlechter Flieger. Die Mücke lebt ganzjährig in der Nähe von Toiletten oder fauligen Gewässern wie Jauchegruben oder Kläranlagen. Statt Blut saugt sie Pflanzensäfte oder Nektar.

Wadenstecher: 6 bis 8 mm groß, Stechrüssel nach vorn gerichtet; Vorderkörper im Sitzen angehoben. Er kommt in der Nähe von Pferdekoppeln und Ställen vor. Die Vorliebe für Menschenbeine gab ihm den Namen, dabei bevorzugt er eigentlich Kühe und Pferde. Am Stechrüssel haftende Blutreste können Milzbrand übertragen.

Zuckmücke: 10 mm groß. Sie ähnelt der Stechmücke, die Männchen haben büschelförmige Fühler. Im Sommer lebt sie sehr häufig an Gewässern und Uferzonen. Dort sammeln sich riesige Schwärme von Zuckmückenmännchen, ebenso wie manchmal an Straßenlaternen. Die Tiere sind lästig, aber nicht gefährlich: Sie können nicht stechen.

Kohlschnake: 15 bis 23 mm groß. Sie ruht mit ausgebreiteten Flügeln, ihre Beine brechen leicht ab. Die Schnake lebt zwischen Mai und August (zwei Generationen) meist im Grasland. Vom Licht angelockt, zappelt das nachtaktive Insekt oft ungeschickt an Wänden herum. Doch keine Panik: Diese Schnaken sind völlig ungefährlich und saugen kein Blut.

Gemeine Stechmücke: 4 bis 6 mm groß. In Ruhehaltung hält sie sich parallel zum Untergrund, beim Stechen macht sie einen Buckel. Ganzjährig in Siedlungen zu finden, sie fliegt gezielt in Häuser. Die Stiche sind kaum zu spüren, wohl aber die Quaddeln als Folge des gerinnungshemmenden Speichels. Sie mag allerdings Vögel lieber als Menschen.

Ringelschnake: 8 bis 10 mm; Beine und Hinterleib auffällig weiß geringelt. Sie ist ganzjährig aktiv, oft in der Nähe von Gewässern und Häusern. Bei ihren nächtlichen Raubzügen hinterlässt sie große, schmerzhafte Quaddeln oder sogar Entzündungen und Blasen - sie ist die Hardcore-Version der Stechmücke.

Wald- und Wiesenmücke: 7 mm groß. Sie hat hell-dunkel geringelte Füße, das Ende des Hinterleibs ist beim Weibchen zugespitzt. Sie lebt von April bis Oktober im offenen Gelände und feuchten Wäldern. Oft fällt sie in kleinen Schwärmen über ihre Opfer her. Die Stiche führen zu unangenehmen Quaddeln. In nordischen Regionen ist sie ein Plage.

Gnitze: 1 bis 2 mm groß. Das Brustglied am Rücken ist vorgewölbt, Flügel in Ruhe zusammengelegt. Sie lebt von Mai bis August an Waldrändern und Feuchtgebieten, vor allem in Nordeuropa; Besonders abends ist sie aggressiv. Beim Stich senkt sie den Kopf tief in die Haut. Verwandte Arten greifen andere Blutsauger an.

Regenbremse: 8 bis 12 mm groß. Kurzer, dicker Saugrüssel, farbenprächtige Augen, gefleckte Flügel. Sie lebt von Mai bis Oktober in feuchten Wäldern und Gebüschen. Als geschickte Fliegerin kann sie auch Läufer und Radfahrer verfolgen. Mit ihren dolchartigen Mundwerkzeugen beißt sie und erzeugt schmerzhafte Wunden, die oft nachbluten.

Trotzdem waren Becker und seine Mitarbeiter auch in den vergangenen Tagen wieder viel am Oberrhein unterwegs, um die Mückenplage einzudämmen. Dazu verteilen sie das Gift Bti, das ursprünglich aus dem Bakterium Bacillus thuringiensis israelensis stammt. Aufgelöst in Wasser oder verpackt in Eisgranulat, zerstört es die Darmwand der Mückenlarven. Von Bingen bis Bregenz, zuweilen auch am Chiemsee, zieht das Kabs-Team zu Fuß oder im Hubschrauber in den Kampf gegen die Stechmücken. Dass andere Mücken bei den Gift-Aktionen ausgespart werden, ist Becker wichtig zu betonen. Die nicht stechenden Zuckmücken zum Beispiel, die Vögeln und anderen Insektenfressern als wichtige Nahrungsquelle dienen, würden - entgegen der Befürchtungen mancher Umweltverbände - nicht dezimiert werden.

Die Weibchen stehen unter großem Leidensdruck, wenn sie Menschen zum Stechen suchen

Nur zehn Prozent der Stechmücken überleben laut Becker die Gift-Aktionen. Doch die Insekten haben ihrerseits schon vor Jahrmillionen eine Strategie entwickelt, wie sie ihrer Ausrottung entgegentreten können: durch massive Vermehrung. Ein Weibchen kann in seinem vier- bis sechswöchigem Leben alle zwei Wochen mehr als 300 Eier legen. Dazu benötigt es artfremde Hilfe: Blut, zum Beispiel von Menschen. Ohne das im Blut enthaltene Eiweiß können die Eier nicht heranreifen. Das Weibchen stehe daher unter "großem Leidensdruck", wenn es einen Menschen zum Stechen sucht, sagt die Biologin Walther.

Wer dafür herhalten muss, diesen Leidensdruck zu lindern, darüber entscheiden möglicherweise auch die Gene des Gestochenen. Das legt eine Studie nahe, der zufolge Zwillinge jeweils ähnlich attraktiv auf die Stechmücken wirken. Womöglich spielen dabei Erbanlagen eine Rolle, die den individuellen Körpergeruch eines Menschen beeinflussen. Stechmücken finden ihre Opfer, indem sie der Geruchsspur folgen, die unter anderem durch ausgeatmetes Kohlendioxid und einige Komponenten im Schweiß entsteht.

Doch genügend Blutmahlzeiten sind nicht die einzige Voraussetzung für eine Mückenplage. "Mücken brauchen es feucht und warm", erklärt Doreen Walther. Bisher stünden daher "die Zeichen auf Grün" für den diesjährigen Sommer. Einigen Regen in den kommenden Wochen vorausgesetzt, dürften in diesem Sommer neben den Überschwemmungsmücken auch die Hausmücken, deren Hochzeit im Juli und August liegt, zahlreich herumschwirren.

Die Asiatische Buschmücke wird Deutschland schon bald flächendeckend besiedeln

Dann ist auch Doreen Walther wieder rund um die Uhr gefragt. Zusammen mit Kollegen vom Friedrich-Löffler-Institut für Tiergesundheit auf Riems hat die Biologin vor fünf Jahren den sogenannten Mückenatlas initiiert. Ziel der Forscher ist ein möglichst genauer Überblick, wo welche Stechmücken in Deutschland vorkommen. Dazu bitten Walther und ihre Kollegen um die Hilfe von jedem Mitbürger, der eine Mücke fangen kann: Dazu sollte man ein Gefäß über das Insekt stülpen, ohne es zu quetschen oder sonst wie zu verletzen, eine Nacht in den Gefrierschrank packen und dann per Post zu Doreen Walther ans Zalf schicken. Besonders aus Bayern wünscht sich die Biologin noch mehr Einsendungen, denn diese Region ist "auch wegen der invasiven Arten sehr interessant".

Vor allem den Werdegang und die Ausbreitung der Asiatischen Buschmücke und der Asiatischen Tigermücke wollen die Biologen verfolgen, denn beide Arten können exotische Viren übertragen, die das Chikungunya- oder Denguefieber auslösen. Vor allem die Buschmücke kommt gut mit gemäßigtem Klima zurecht und wird Deutschland wohl schon bald flächendeckend besiedeln. Die wärmeliebende Tigermücke ist in Südeuropa schon länger heimisch, auch in Italien. Doch obwohl sie es immer wieder über die Alpen schafft - vermutlich als blinder Passagier in Autos und Lastwagen - , hat sie sich bislang offenbar noch nicht dauerhaft in Deutschland etabliert.

Doch genügt manchmal schon ein heimischer "Quälgeist" oder "Tunichtgut", um einem den Sonntagsausflug zu vermiesen. Am Ammersee musste das geplagte Lokal am Nordufer wegen der Mückenschwärme vor ein paar Wochen kurzfristig schließen. Jeder Mitarbeiter und Besucher habe im Durchschnitt 40 Stiche davongetragen, berichteten die Betreiber des Lokals.

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Quelle:
SZ vom 24.06.2017
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