Süddeutsche Zeitung

Klimakolumne:Acht Millionen Jahre Videokonferenz

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Home-Office kostet Nerven, aber spart unter dem Strich deutlich CO₂-Emissionen, wie neue Studien zeigen. Klimakolumnist Dirk von Gehlen hat trotzdem keine Lust mehr auf "Könnt Ihr meinen Bildschirm sehen"-Sitzungen.

Von Dirk von Gehlen

Vor einem Jahr war die Welt eine andere. Dieser Tage erinnern sich viele Menschen daran, weil viele im März 2020 ein letztes Mal zu einer Dienstreise aufbrachen, ein Fußballstadion oder Konzert besuchten. Ich musste in dieser Woche daran denken, wie ich vor einem Jahr einen Seufzer in die SZ schrieb: "Immerhin haben wir das Internet" notierte ich damals, um festzuhalten, dass physische Distanz vor allem deshalb erträglich ist, weil wir uns virtuell verbinden können.

Nicht auszumalen, wie viel anstrengender die vergangenen zwölf Monate gelaufen wären, hätten wir auf die Möglichkeiten der digitalen Vernetzung verzichten müssen. Am DE-CIX Internetknoten in Frankfurt, der zu den größten der Welt zählt, wurden im Jahr 2020 ingesamt 32 Trillionen Byte Datenverkehr gemessen. Das ist ein neuer Rekord. Die dpa hat dies in eine greifbare Zahl umgerechnet und schreibt, das entspreche einem acht Millionen Jahre andauernden Video-Anruf.

Ich kenne Menschen, die das Gefühl haben, genau so lange schon in "könnt Ihr meinen Bildschirm sehen"-Sitzungen gefangen zu sein. Denn Home-Office heißt für sehr viele Menschen vor allem: in privaten Räumen in kleine Bildschirme gucken. Neben allen Fragen der familiären Folgen und psychischen Gesundheit, über die meine Kollegin Teresa Bücker gerade im SZ-Magazin schrieb, wirft der Trend zur Videokonferenz vor allem die Frage nach dem ökologischen Fußabdruck auf: ein acht Millionen Jahre dauernder Video-Call braucht ja nicht nur körperliche Ressourcen. Andererseits spart die Bildschirmguckerei natürlich potenziell viele Auto- und Bahnfahrten oder sogar Flüge.

Dienstreisen könnten dauerhaft um bis zu 35 Prozent zurückgehen

Im März 2020 veröffentlichte das Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung einen Artikel, in dem es um die positiven Effekte des Home Office für das Klima geht. Darin heißt es: "Der Gedanke der Virtualisierung der Arbeitswelt ist schon lange mit Hoffnungen auf ökologische Vorteile, wie etwa der Reduktion von Mobilitätsemissionen, verbunden." Ein Jahr später kann man feststellen, dass der Gedanke sich in die Tat umgesetzt und die Hoffnung sich zumindest in Teilen erfüllt hat.

Der Verkehrsclub Deutschland (VCD) hat dieser Tage nämlich eine Studie veröffentlicht ( PDF-Download), die als Folge des durch die Pandemie-Bekämpfung eingeschränkten dienstlichen Reisens (Arbeitswege und Dienstreisen) einen erheblichen Rückgang der Emissionen in den kommenden Jahren in Aussicht stellt: "Wenn das geänderte Dienstreiseverhalten, wie von den Befragten erwartet, im Anschluss an die Pandemie anteilig beibehalten wird", heißt es in der Studie, könnten die beruflichen Reisen mit der Bahn um 28 Prozent, mit dem Auto um 35 Prozent und per Flugzeug um 22 Prozent zurückgehen - dauerhaft. Hochgerechnet kommt die Studie dadurch auf eine Reduktion der Treibhausgasemissionen von etwa drei Millionen Tonnen CO₂ pro Jahr. Hinzu kämen 1,5 Millionen Tonnen CO₂, die sich mit mehr Home Office beim Pendeln sparen ließen.

Das ist erheblich, selbst wenn man einrechnet, dass auch die ewigen Videokonferenzen Emissionen erzeugen. US-Forscher haben dazu in einer aktuellen Erhebung einen weltweiten Durchschnittswert ermittelt, der bei wöchentlich 15 virtuellen Meetings von je einer Stunde auf Emissionen von 2,2 Kilogramm CO₂ in der Woche kommt. Zum Vergleich: Wenn ich die 25 Kilometer Hin- und Rückweg zur Arbeit, die ich ohne Home Office hätte, mit dem Auto zurücklegen würde, käme ich bei durchschnittlichem Spritverbrauch auf rund vier Kilogramm CO₂ - täglich.

Aber ich gestehe auch: Bei aller Sympathie für die digitale Verbindung hätte ich nichts dagegen, all meine Kolleginnen und Kollegen aus dem Klimafreitag-Team mal wieder im Büro zu treffen. Ich würde dann CO₂-sparsam ins Hochhaus der Süddeutschen Zeitung radeln. Das macht auch mehr Spaß.

(Dieser Text stammt aus dem wöchentlichen Newsletter Klimafreitag, den Sie hier kostenfrei bestellen können.)

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