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Heimliche Gewinner der Tierwelt:Zitteraale können Beute fernsteuern

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Erst die Zielerfassung, dann der tödliche Schlag: Zitteraale können ihre Elektroschocks dosieren, um ihre Beute ins Visier zu nehmen. Damit haben sie sich einen Platz unter den heimlichen Gewinnern der Tierwelt verdient.

Von Sebastian Herrmann

Zitteraale verstehen es offenbar, Elektroschocks virtuos zu dosieren. Die Tiere passen die Spannung ihrer Stromstöße an die jeweiligen Erfordernisse an. Mit milden Pulsen sorgen sie zum Beispiel dafür, dass die Muskeln kleiner Fische kurz krampfen. Die Beutetiere verraten dem Zitteraal durch die ausgelösten Zuckungen ihre Position. Dann folgt das Finale: Sobald die Beute aufgescheucht und das Ziel erfasst ist, sendet der Aal einen mächtigen Stromstoß durch das Wasser. Das paralysiert die Beutefische, und der Elektrojäger kann zuschnappen. So beschreibt der Biologe Kenneth Catania die Jagdstrategie von Electrophorus electricus in einem Beitrag für das Fachmagazin Science (Bd. 346, S. 1231, 2014).

Zitteraale zählen zur Familie der sogenannten Neuwelt-Messerfische. Sie leben in trüben und schlammigen Gewässern des Flusssystems im Amazonas- und Orinoco-Gebiet. Die Stromschläge erzeugen sie mit umfunktionierten Muskeln, die auf dem bis zu 2,40 Meter langen Leib der aalartigen Fische sitzen. Bis zu 6000 dieser Elektrozyten befinden sich auf der Fischhaut - und das gestattet es den Tieren, die Stromschläge zu dosieren. Schwache Stöße helfen bei der Orientierung im trüben Wasser und dienen der Kommunikation mit Artgenossen. So melden sie Revieransprüche gegenüber Konkurrenten an oder lassen es bei der Partnersuche knistern. Nur zur Jagd schöpfen die Tiere das volle Potenzial der Elektrozyten aus und produzieren Spannungen bis zu 600 Volt.

Der Biologe Catania beobachtete nun, dass auch die Jagdstrategie einer feinen Choreografie folgt. Zunächst scheuchen die Tiere mit mehreren aufeinanderfolgenden Stromschlägen binnen weniger Augenblicke ihre Beute auf. Diese Elektrosondierung scheint perfekt Nervenzellen anzusprechen, die Bewegungen der Beutetiere steuern. Die kleinen Fische beginnen, zu zucken, der Jäger identifiziert dadurch ihre Position. Nun folgt, so hat Catania beobachtet, der vernichtende Stromschlag, der die Beute lähmt.

In der Serie "Heimliche Gewinner" stellen SZ-Autoren in loser Folge Lebewesen mit erstaunlichen Fähigkeiten vor. In der Wirtschaftswelt bezeichnet der Begriff "Hidden Champions" Firmen, die in einem hochspezialisierten Markt äußerst erfolgreich sind, die aber kaum jemand wahrnimmt. Solche unbekannten Sieger kennen die Ökosysteme schon seit Millionen von Jahren.

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Quelle:
SZ vom 05.12.2014
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