Süddeutsche Zeitung

Großbritannien:Genmanipulationen: "Hier wird eine Grenze überschritten"

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Deutsche Politiker halten die in Großbritannien genehmigten Versuche an Embryonen für problematisch - und fordern eine Novelle des Embryonenschutzgesetzes.

Von Kim Björn Becker und Kathrin Zinkant

Die weltweit ersten gentechnischen Versuche an menschlichen Embryonen stoßen in Deutschland auf größtenteils heftige Kritik. Die Experimente, die von einer britischen Behörde am Montag eine Genehmigung erhielten, werden von Politikern aller Bundestagsfraktionen verurteilt. Der Gesundheitsexperte der SPD, Karl Lauterbach, nennt die Entscheidung der britischen Behörde HFEA "sehr problematisch". Die Folgen einer gezielten Veränderung des Erbguts seien derzeit noch nicht zu überblicken. Die Risiken der Genmanipulation stünden nicht im Verhältnis zu dem erhofften Nutzen, sagte Lauterbach der Süddeutschen Zeitung. "Hier wird eine Grenze überschritten."

Großbritannien hat seine Gesetze für die Biomedizin in den vergangenen Jahren stark liberalisiert. Unter anderem ist es erlaubt, Mensch-Tier-Mischwesen für wissenschaftliche Zwecke und Kinder von drei Eltern zu erzeugen. Auch die Forschung an menschlichen Embryonen ist üblich. Für die jetzt genehmigten Versuche werden lebensfähige Embryonen erstmals mit einer neuen Technik, dem Genome Editing, genetisch manipuliert.

Die deutsche Gesetzgebung gilt dagegen als eine der restriktivsten in Europa. Das Embryonenschutzgesetz verbietet jede Verwendung von künstlich befruchteten Embryonen zu einem anderen Zweck als der Geburt eines Kindes. Eine Verwendung für die Wissenschaft ist unabhängig vom Genome Editing bereits ausgeschlossen. Daran will die große Koalition trotz des Vorstoßes aus London festhalten. Entsprechend äußerte sich die gesundheitspolitische Sprecherin der Unionsfraktion, Maria Michalk. Das Embryonenschutzgesetz biete für Wissenschaftler in Deutschland "einen ausgewogenen Rechtsrahmen, an dem wir aus ethischen Gründen festhalten wollen". Eine "verbrauchende" Embryonenforschung, wie sie nun in Großbritannien zulässig sei, lehne die Union "strikt ab".

Auch Vertreter der Opposition verurteilen die liberale Forschungspolitik Großbritanniens. Als "ethisch ausgesprochen heikel" bezeichnete Harald Terpe von den Grünen den Schritt. Für ihn ist es fraglich, ob die Verantwortlichen auf lange Sicht ausschließen können, dass "bei künstlichen Befruchtungen nicht doch gentechnisch veränderte Embryonen (für eine Schwangerschaft) eingesetzt werden". Kathrin Vogler, Gesundheitspolitikerin der Linken, warnte gar vor "Ethik-Dumping". Nur weil in einem anderen europäischen Staat weniger strikte ethische Auflagen gelten, müsse Deutschland sich nicht danach richten. Sie halte es für "absolut falsch" und finde es "unvorstellbar, dass wir solche Forschung hierzulande genehmigen könnten".

Manche Wissenschaftler beklagen eine gentechnikfeindliche Haltung in Deutschland

Rechtsexperten wie Jochen Taupitz von der Universität in Mannheim warnen jedoch davor, langfristig am deutschen Embryonenschutzgesetz in seiner veralteten Form festzuhalten. Tatsächlich weist der rein strafrechtliche Text klare Lücken auf. Die in Großbritannien verbotene Geburt eines "editierten" Embryos zum Beispiel stünde in Deutschland nicht unter Strafe.

"Das Embryonenschutzgesetz muss meiner Ansicht nach in vielen Punkten novelliert werden, weil es nicht mehr dem aktuellen naturwissenschaftlichen Stand entspricht", sagt Taupitz, der auch stellvertretender Vorsitzender im Deutschen Ethikrat ist. Eine genetische Manipulation von Eizellen oder Spermien zu Forschungszwecken sei ebenfalls erlaubt, so lange sie außerhalb des Körpers stattfindet und die Eizelle nicht zur Befruchtung verwendet werde. Die überfällige Gesetzesnovelle allerdings ist ebenfalls heikel, weil dabei nicht zwingend eine verschärfte Regelung herauskommen muss. Nicht alle Politiker stehen einer Liberalisierung der Forschung ablehnend gegenüber, und die Front zieht sich quer durch die Fraktionen.

Die deutsche Wissenschaft würde sich gewiss mehr Offenheit wünschen. Zwar äußerte Hans Schöler vom Max-Planck-Institut für molekulare Biomedizin in Münster bereits am Montag, er lehne die genetische Veränderung von Embryonen derzeit vehement ab. "Die Methode ist meines Erachtens nicht sicher genug", sagt der Stammzellforscher.

Andere Wissenschaftler finden das strikte Verbot jedoch schwierig. Dirk Heckl von der Medizinischen Hochschule Hannover, der das Genome Editing für die Krebsforschung nutzt, sieht es ähnlich: "Solche Experimente sollten langfristig gesehen die Ausnahme bleiben und auf das Schärfste geprüft werden." Er empfindet die generell abweisende Haltung gegenüber der Gentechnologie in Deutschland allerdings auch als gefährlich und vermisst ein einheitliches Gesetz in der europäischen Union. "Ich würde eine übergreifende Regelung in der EU für sehr sinnvoll halten", sagt Heckl. Dann könne es auch eine länderübergreifende Debatte um das Thema Genome Editing geben.

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SZ vom 03.02.2016
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