Süddeutsche Zeitung

Glücksforschung:Wie Politiker Bürger zufriedener machen können

Lesezeit: 2 Min.

Eine Idee wird wieder aktuell: Die Politik sollte sich weniger um Wachstum, sondern mehr um das Glück der Menschen kümmern. Das ist Populismus. Entscheidend für die Lebenszufriedenheit ist, dass wichtige Rahmenbedingungen stimmen.

Von Sebastian Herrmann

Wenn das Hamsterrad für einen Moment stillsteht, sackt der Selbstausbeuter auf dem Sofa zusammen. Die Kinder schlafen endlich, die Küche müsste noch aufgeräumt werden, aber die Gedanken kreisen um die vielen Aufgaben, die heute schon wieder unerledigt geblieben sind. Positiv bleiben, muss ja weitergehen. Aber die Küche kann wirklich noch warten. In den Nachrichten heißt es dann, die deutsche Wirtschaft werde 2015 nur mehr um ein Prozent wachsen, so die Prognose dieser sogenannten Wirtschaftsweisen. Ein Prozent, zwei Prozent, drei Prozent - was soll das alles, grübelt der Selbstausbeuter auf dem Sofa, was soll der Wirbel um Wachstum und Konjunktur, wenn man am Ende sowieso nur frustriert ins Leere glotzt?

Aus dem Gefühl der Überforderung und der Übermacht des Ökonomischen speist sich eine Idee, die gerade wieder aktuell wird: Die Politik sollte sich weniger um Wachstum, sondern mehr um das Glück der Menschen kümmern. Statt Konzerne zu päppeln und Wachstumskurven anzubeten, sollten Zufriedenheit und Glück der Menschen Handlungsziel sein.

Das ist Populismus in sanftem Gewand. Die Politik darf nicht entscheiden, was einzelne Menschen glücklich macht. Wohin soll das führen, zur Wellness-Bevormundung? Zwangsteilzeit plus verpflichtenden Entspannungskursen für alle und dazu Haushaltshilfen, die einem die Küche säubern, während man vom Sofa stiert? Es bleibt ja schon unklar, welche Faktoren denn berücksichtigt werden sollen, um das Glücksniveau einer Gesellschaft zu ermitteln. Eine Enquete-Kommission des Bundestages, die bis 2013 unter anderem darüber debattierte, fand keinen gemeinsamen Glücksnenner.

Wie auch, die Widersprüche des Menschen offenbaren sich besonders in der Suche nach dem Wohlergehen. Denn was steigert die Zufriedenheit des Selbstausbeuters? Geld? Ja, Geld macht glücklich - bis zu einem gewissen Niveau, dann hält das Glück nicht mehr mit dem Kontostand Schritt, die Kurven entkoppeln sich. Doch daraus lässt sich kein generelles Plädoyer gegen das Materielle ableiten: Wenn Menschen eines hassen, dann etwas bereits Erreichtes wieder zu verlieren. Und weil mit dem Wohlstand auch die Bedürfnisse wachsen, würde ein staatlich verordneter Ausstieg aus dem Hamsterrad hinein ins einfache Leben das Glück der breiten Masse implodieren lassen. Materieller Wohlstand ist leider wichtiger, als wir uns eingestehen wollen. Nicht nur die Konzerne sind gierig, wir wollen ja selbst ständig mehr.

Glücksempfinden korreliert stark mit den ökonomischen Verhältnissen. Manchmal überdeutlich: Während der Finanzkrise verliefen Umfragewerte zur Lebenszufriedenheit in den USA fast parallel zum Auf und Ab der Börse. Dreht sich am Ende doch alles um Wachstum und Geld, was stiftet dann Sinn im Leben und füllt die Leere im Selbst?

Sinn und Glück führen leider keine stabile Zweierbeziehung. Die Psychologen Ed Diener und Shigehiro Oishi haben das Dilemma zusammengefasst: In armen Ländern spüren die Menschen im Schnitt zwar deutlich mehr Sinn in ihrem Leben als die Bewohner der Industriestaaten; trotzdem sind sie wesentlich unzufriedener mit ihrem Dasein. Es fehlt an materieller Sicherheit, sie sind damit beschäftigt zu überleben - das stiftet Sinn, aber kein Glück. Das verhält sich ein bisschen wie mit Eltern und ihren Kindern: Nachwuchs verleiht dem Leben Bedeutung, und es ist ein Wunder, welch tiefe Liebe Kinder wecken. Aber die Daten zeigen, dass Kinder die Lebenszufriedenheit der Eltern im Schnitt senken. Soll nun eine dem Glück verpflichtete Politik die Menschen etwa davon abhalten, Kinder zu bekommen? Manchmal stellt Glück die falsche Kategorie dar, um ein gutes, erfülltes Leben zu beschreiben.

Die Politik sorgt am besten für die Lebenszufriedenheit der Bürger, indem sie für soziale Sicherheit sorgt, für ein gutes Gesundheitssystem, für Wohlstand, für eine saubere Umwelt und andere Rahmenbedingungen. Die konkreten Anlässe für Zufriedenheit und Lebenssinn muss sich der Selbstausbeuter auf dem Sofa selber suchen. Vielleicht einfach weniger wollen? Darauf einen Glückskeks.

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Quelle:
SZ vom 15.11.2014
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