Süddeutsche Zeitung

Gesundheit:Der Kartoffel-Effekt

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Smartphones werden als Krankmacher verteufelt. Dabei gibt es keine harten Beweise dafür, dass viel Zeit am Bildschirm Jugendlichen schadet. Eine neue Studie liefert sogar Entwarnung.

Von Christian Gschwendtner

Nur wenige Eltern dürften beim Thema Smartphone an den Verzehr von Kartoffeln denken. Wenn ein Lebensmittelvergleich bemüht wird, dann eher der mit Fast Food. Die Handygeräte haben einen ähnlich schlechten Ruf. Sie sind angeblich extrem ungesund und machen mindestens genauso schnell süchtig.

Wissenschaftler der Oxford-Universität kommen in einer neuen Studie im Fachblatt Nature Human Behaviour zu einem anderen Schluss. Geht es um den Einfluss auf das Wohlbefinden von Teenagern, lässt sich aus ihrer Sicht nichts besser vergleichen als Smartphones und Kartoffeln. Beides ist aus medizinischer Sicht unbedenklich. Der Handygebrauch verschlechtert die Gesundheit von Jugendlichen demnach nur um 0,4 Prozent. Statistisch ist das derselbe Effekt, der sich beim regelmäßigen Verzehr von Kartoffelgerichten einstellt und noch dazu ein Einfluss, den man nach Meinung der Wissenschaftler getrost vernachlässigen kann. Zum Vergleich: Wer regelmäßig frühstückt, tut seiner Gesundheit deutlich mehr Gutes. Der Effekt ist dann nicht nur positiv, sondern auch 30 Mal so groß wie der Verzicht auf das Smartphone, heißt es in der Studie.

"Das Aufblasen der Gefahr ist größer als das gesundheitliche Risiko"

Der Kartoffelvergleich mag absurd klingen. Er soll aber mit einem Missverständnis aufräumen, das die öffentliche Debatte prägt. Smartphones werden immer öfter als Krankmacher verteufelt, obwohl es dafür keine belastbare Datengrundlage gibt. Das bestätigte erst kürzlich der oberste Chef der amerikanischen Gesundheitsbehörde in einer Anhörung vor dem amerikanischen Kongress.

Beachtenswert ist die Oxford-Studie schon wegen ihres Umfangs. Ausgewertet wurde das Verhalten von 355 358 Jugendlichen aus den USA und Großbritannien. Die Daten stammen, wie bei großen Studien zur Internetnutzung üblich, aus Befragungen, die eigentlich für andere Zwecke erhoben wurden. Und genau da fangen die Probleme an. Das Rohmaterial sei so vielfältig, schreiben die Wissenschaftler, das vieles von Kriterien abhängt, die Forscher im Vorfeld an die Daten anlegen. Das heißt: Wer Smartphones partout verdammen will, findet dafür im Datenwust auch Belege. Allein für die neue Studie hätte es 600 Millionen verschiedene Wege gegeben, das Material auszuwerten, sagt der beteiligte Oxford-Psychologe Andrew Przybylski. Vieles hängt zum Beispiel davon ab, wie man Wohlbefinden oder Bildschirmnutzung definiert. Allgemein gültige Regeln für die Analyse gibt es keine.

Przybylski und seine Kollegin Amy Orben haben sich deshalb im aktuellen Fall dazu entschieden, die verschiedenen Analyseverfahren statistisch gleichermaßen zu berücksichten. Herausgekommen ist am Ende ein fast vernachlässigbarer Zusammenhang zwischen Bildschirmzeit und Teenager-Gesundheit. Und der kleine verbleibende Zusammenhang könnte auf einer zufälligen Korrelation beruhen. Berühmt geworden ist eine Studie aus Großbritannien, die im vergangenen Jahr der Handynutzung eine Mitschuld an Depressionen unter Mädchen gab. Der Befund ist aber umstritten. Zum einen, weil die statistische Korrelation verschwindend klein ausfällt. Zum anderen, weil niemand mit Sicherheit sagen kann, was zuerst da war: Die Handysucht oder die Depression.

Den Wissenschaftlern aus Oxford ist es ein Anliegen, Ruhe in eine zunehmend hysterische Debatte zu bringen. Ohne handfeste Beweise für einen Kausalzusammenhang, solle man sich mit zu strikten Regeln für die Handynutzung zurückhalten. "Das Aufblasen der Gefahr ist größer als das gesundheitliche Risiko ", sagt auch der Charité-Psychiater Jan Kalbitzer. Nicht zuletzt, weil durch den Fokus auf das Smartphone die wahren Ursachen von Krankheiten schnell in Vergessenheit geraten.

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Quelle:
SZ vom 17.01.2019
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