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Kosmologie:Warum Gerüchte um Gravitationswellen der Physik schaden

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Es geht zu wie unter "Game of Thrones"-Fans: Ein Kosmologe verbreitet über Twitter, ein Observatorium habe Gravitationswellen nachgewiesen. Mit dem Gemunkel könnte sich die Physik erneut blamieren.

Kommentar von Robert Gast

Zu Einsteins Zeiten war Physik noch einfacher: Ein paar Wissenschaftler bauten ein Experiment auf und führten so lange Messungen durch, bis sich eine Hypothese verifizieren oder verwerfen ließ. Das alles fand in Laborkellern oder Observatorien statt, für das Ergebnis interessierten sich allenfalls ein paar konkurrierende Kollegen in Übersee. Sie erfuhren oft erst dann von neuen Messergebnissen, wenn sie Monate später in eine Fachzeitschrift schauten.

Heute fiebern Physiker den neuesten Ergebnissen ähnlich gespannt entgegen wie TV-Fans der nächsten Staffel von "Game of Thrones". Die Fernsehserie hat jede Menge Zuschauer, die mehr oder weniger gut informiert orakeln, was in noch nicht ausgestrahlten Episoden passieren wird. Seit einigen Jahren ist das auch in der Physik übliche Praxis. Fast jede bedeutende Messung kommt mit einer Bugwelle halb garer Gerüchte daher. Mittlerweile erfährt auch die Öffentlichkeit immer wieder von vorläufigen Ergebnissen, die mehr oder minder offensiv als Sensation verkauft werden. In der Regel bringt das dem Whistleblower viel Aufmerksamkeit. Für das Ansehen der Wissenschaft ist es fast immer schädlich.

Gerüchte über Gravitationswellen

Die vergangene Woche lieferte ein eindrucksvolles Beispiel: Der amerikanische Kosmologe Lawrence Krauss deutete auf Twitter ein spektakuläres Messergebnis an, das er von einem Kollegen zugeflüstert bekommen haben will. Ein amerikanisches Observatorium namens LIGO habe Gravitationswellen aufgefangen. Solche winzigen Erschütterungen der Raumzeit wären die letzte große Bestätigung von Albert Einsteins Relativitätstheorie. Ihr Nachweis gilt als nobelpreiswürdig.

Krauss ist ein streitlustiger Physikprofessor, der mehrere populärwissenschaftliche Bestseller geschrieben hat. An den Messungen von LIGO ist er nicht beteiligt. Auch seine Quelle gehört offenbar nicht zu dem 900-köpfigen Team der Gravitationswellen-Jäger. Dennoch konnte Krauss der Versuchung nicht widerstehen, das Gerücht seinen 199 000 Twitter-Followern mitzuteilen.

Dem Fach und der Fachwelt hat er damit keinen Gefallen getan. An den Messungen beteiligte Forscher berichten, die Auswertung der Daten sei noch längst nicht abgeschlossen. Dank Krauss' Geltungsdrang stehen sie nun aber unter dem Druck, möglichst bald Stellung zu dem Gerücht zu beziehen. Dabei wollten die Physiker unbedingt Fehler der Vergangenheit vermeiden: Vor zwei Jahren meldeten Kollegen aus Harvard vorschnell, sie hätten - wenn auch anders geartete - Gravitationswellen nachgewiesen. Später musste die Gruppe das Ergebnis aufgrund eines Fehlers zurückziehen.

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Quelle:
SZ vom 16.01.2016
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