Süddeutsche Zeitung

Wissenschaftspolitik:Forschen ohne Tempolimit

Lesezeit: 2 min

Das Topjournal "Nature" wirbt für den Wissenschaftsstandort Deutschland - mit arg sonderbaren Argumenten.

Kommentar von Kathrin Zinkant

Es gibt viele Wege zu sagen, dass man sein Gegenüber zwar ganz nett findet - aber mehr leider auch nicht. Manchmal hört sich das Ganze sogar wie ein großartiges Kompliment an. Zum Beispiel, wenn man betont, wie interessant die gemeinsamen Diskussionen doch immer sind. Oder dass der andere ja wahnsinnig gut kochen kann. Durch die Blume heißt das trotzdem, dass es keine Liebe ist.

Das Wissenschaftsmagazin Nature hat dem Forschungsstandort Deutschland jetzt gleich fast ein Dutzend solcher Komplimente gemacht. "Zehn Gründe als Forscher nach Deutschland zu gehen" heißt das Textlein im redaktionell unabhängigen Karriereführer des internationalen Topjournals - und manchem Wissenschaftsfunktionär wird bei der Titelei doch sicherlich ganz arg das Herz klopfen. Gleich zehn Gründe! Da muss doch mindestens einer etwas mit der großen Innovationskraft Deutschlands, seiner Spitzenforschung, dem hohen wissenschaftlichen Niveau zu tun haben!

Autobahnen, Weihnachtsgeld - ist das wichtiger als Spitzenforschung?

Doch nein, so ist es leider nicht. Es ist vor allem von finanziellem Vorteil, in Deutschland zu forschen. Die Mieten sind selbst in München oder Berlin niedrig, zumindest im Vergleich zu Städten wie London oder Paris. Es gibt Weihnachtsgeld. Die Kinderbetreuung ist erschwinglich, Eltern bekommen Steuererleichterungen und Kindergeld - und wenn der eigene Nachwuchs studieren will: Kostet auch nichts. Hinzu kommen gute berufliche Alternativen zur Wissenschaft und, tatsächlich, große gesellschaftliche Offenheit. Was insgesamt ein tolles Zeugnis für die Sozialsysteme und die Lebensqualität in der Bundesrepublik ist. Man vergisst ja vor lauter Wohlstand manchmal, wie gut man es in Deutschland tatsächlich hat.

Spätestens bei Grund drei, "The Joy of Fahrvergnügen", fragt man sich allerdings schon, ob das eigene Land denn sonst nur für seine Rückständigkeit bewundert werden will. Und auf zwiespältige Weise fühlt man sich an einen legendären Auftritt von Tom Hanks bei David Letterman vor sieben Jahren erinnert. Der US-Schauspieler hatte für Dreharbeiten Deutschland besucht und schwärmte im Gespräch mit dem Talkmaster damals wovon? Genau, von den deutschen Autobahnen, auf denen man so schnell fahren dürfe, wie man wolle.

Das Video ist sehr witzig, man findet es noch auf Youtube. Aber den Spott über die Autonation haben schon damals nicht viele wirklich verstanden. Nein, es ist nicht toll, dass es nur auf gerade einmal der Hälfte der Autobahnen in Deutschland ein Tempolimit gibt. Es ist schlecht für Sicherheit und Klima. Vor allem aber sollte es ganz sicher kein Grund sein, in Deutschland forschen zu wollen. Da sollten sich möglichst schnell ein paar bessere finden lassen.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.4397836
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 06.04.2019
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.