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Erdbeben:Doppelschlag

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Erdbeben treten in benachbarten Verwerfungen der Erdkruste manchmal kurz nacheinander auf. Wissenschaftler können jetzt offenbar erklären, warum das so ist.

Ute Kehse

Sobald Erdspalten nach hunderten Jahren Ruhe in Bewegung geraten, bedeutet das Lebensgefahr für die Menschen - besonders, wenn mehrere benachbarte Bebenherde nahezu gleichzeitig erwachen.

Solche Serien sind kein Zufall, berichtete vor kurzem der Seismologe Christopher Scholz von der Columbia University in New York im Bulletin of the Seismological Society of America: Erdbebenzyklen benachbarter Verwerfungen könnten sich synchronisieren.

Nach einem Starkbeben steige die Wahrscheinlichkeit für starke Erdstöße in einer benachbarten Spalte an, die parallel verläuft und ähnlich schnell kriecht. "Bislang wird meist angenommen, dass Störungen der Erdkruste unabhängig voneinander sind", sagt Friedemann Wenzel vom Karlsruher Institut für Technologie. "Doch diese Arbeit belegt sehr schön, dass Erdbeben in Raum und Zeit gehäuft auftreten."

Ein Beispiel für Beben im Gleichtakt ist die kalifornische Scherzone in der Mojave-Wüste, sagt Scholz. Östlich der berühmten San Andreas-Verwerfung befinden sich dort weitere Störungen, die ebenfalls durch die Verschiebung der Pazifischen Platte unter Spannung gesetzt werden. Hier bewegen sich die Bruchstücke der Erdkruste im Schneckentempo, nur etwa einen Millimeter pro Jahr.

Innerhalb von 5000 Jahren baut sich so genug Spannung für Erdstöße der Stärke 7 auf - etwa so stark wie das Beben in Haiti im Januar 2010. Doch 1992 und 1999 entluden sich gleich zwei der ostkalifornischen Verwerfungen mit Starkbeben der Magnituden 7,3 und 7,1.

Wie Scholz berichtet, hat das erste Beben die Spannung in der zweiten, 24 Kilometer entfernten Störung minimal erhöht. Als Auslöser kam es daher eigentlich nicht in Frage - es sei denn, die zweite Verwerfung hätte ohnehin kurz davor gestanden, zu versagen. Im US-Staat Nevada, in Bulgarien und Island stieß der Forscher auf ähnliche Häufungen. Teilweise lagen dort nur Stunden oder wenige Tage zwischen zwei starken Beben an benachbarten Verwerfungen.

Scholz hat nun einen Mechanismus beschrieben, der dieses Phänomen erklären kann. Seiner Meinung nach verhalten sich die Erdbebenzyklen parallel verlaufender Störungen wie verknüpfte schwingende Systeme. Solche "gekoppelten Oszillatoren", wie Physiker sie nennen, synchronisieren sich auch in der Natur häufig allein. Beispiele sind Glühwürmchen, die im gleichen Rhythmus blinken, unisono zirpende Grillen oder die Schrittmacherzellen im Herzen.

Die Erdspalten sind gekoppelt, weil sich nach Stößen die Spannung in der gesamten Umgebung neu verteilt. Erhöht ein Beben die Spannung in der Nachbarschaft - und sei es minimal -, werden die anderen Verwerfungen näher an den Punkt gebracht, an dem sie selbst brechen. "Diese Kopplung verstärkt sich, je ähnlicher sich die Zyklen werden", sagt Scholz. "Das ist wie bei zwei Magneten, deren Anziehung sich verstärkt, wenn sie sich näher kommen." Haben zwei Störungen den gleichen Rhythmus erreicht, blieben sie darin gefangen.

Für Kalifornien sei das eher eine gute Nachricht, sagt der Seismologe aus New York. Viele Forscher waren bislang der Meinung, die starken Erdbeben in der Mojave-Wüste hätten die Wahrscheinlichkeit für einen Bruch der San Andreas-Spalte erhöht. Doch Scholz ist anderer Meinung. "Da sich die San Andreas-Störung viel schneller bewegt, ist sie nicht mit den Verwerfungen in der Mojave-Wüste synchronisiert", sagt er.

Der Seismologe Ross Stein vom Geologischen Dienst der USA hält Scholz' Überlegungen für plausibel. "Es sind zwar auch andere Ideen im Umlauf, aber keine davon ist in der Lage, die starke Häufung und Synchronität von Erdbeben zu erklären", sagt er. Auch Friedemann Wenzel beurteilt die Idee positiv: "Die Theorie hat Substanz."

Scholz erwartet nun, dass Kollegen bislang schlafende, synchronisierte Störungen erkunden. Dass sich frühere Bebenserien exakt wiederholen, sei freilich nicht zu erwarten. Während Glühwürmchen einen exakten Blink-Rhythmus einhalten, ist in der Erdkruste immer eine Prise Chaos im Spiel.

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Quelle:
SZ vom 04.08.2010
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