Süddeutsche Zeitung

Erbgutveränderungen bei Pflanzen:Evolution im Schnelldurchgang

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Arten können ihr Erbgut binnen kürzester Zeit ändern. Eine solche Express-Evolution haben Wissenschaftler nun anhand von Nachtkerzen nachgewiesen.

Thomas Wagner-Nagy

Die Evolution gilt oft als langwieriger Vorgang, der sich experimentell nur mit Mühe nachweisen lässt. Umso erstaunlicher sind die Schlussfolgerungen, die eine internationale Forschergruppe aus Beobachtungen an Nachtkerzen zieht, einer selbstbestäubenden, nordamerikanischen Zierpflanzengattung: Evolution braucht demnach bei Pflanzen nicht immer Jahrtausende, sondern kann auch innerhalb weniger Jahre stattfinden - mitunter sogar innerhalb einer Generation ( Science, Bd. 338, S. 113, 2012).

Die Biologen um Marc Johnson von der Universität Toronto haben untersucht, wie Nachtkerzen genetisch auf eine Bedrohung durch Insekten reagieren, die sich von ihnen ernähren. Dazu pflanzten sie in zwei getrennten Ansätzen je 60 der Gewächse in 18 verschiedenen genetischen Varianten. Die eine Hälfte der Pflanzen wurde durch eine regelmäßige Insektizidbehandlung frei von Insekten gehalten, während die andere Hälfte einem natürlichen Befall mit diesen Tieren ausgesetzt war. Das Team verfolgte über einen Zeitraum von fünf Jahren Veränderungen des Genotyps, also der genetischen Ausstattung der Nachtkerzen. Die Pflanzen wuchsen und vermehrten sich ungestört.

"Wir konnten bei jeder Variante schon nach einer einzigen Generation eine Evolution beobachten", sagt Johnson. So hätten beispielsweise unbehandelte Pflanzen stärkere Veränderungen im Genotyp gezeigt, die mit einem höheren Giftgehalt in den Früchten einhergehen. Das machte sie für samenfressende Motten ungenießbar. Auch seien vermehrt Pflanzen aufgetaucht, die später als gewöhnlich im Jahr blühten. Diese Pflanzen wurden seltener von Fressfeinden heimgesucht. "Unsere Studie liefert den eindeutigen Beweis für eine schnelle Evolution von Resistenzmerkmalen, die bei Pflanzen durch Insekten hervorgerufen wird", schreiben die Forscher.

Die Insektizid-belasteten Pflanzen zeigten nach fünf Jahren im Gegensatz zu den unbehandelten Nachtkerzen ein deutlich gleichmäßigeres genetisches Muster. Das Team schließt daraus, dass es sich bei den Mutationen der naturbelassenen Pflanzen nicht um eine zufällige Veränderung des Erbguts handelt. Vielmehr sei es ein natürlicher Selektionsprozess, den die Insekten bei den Pflanzen hervorgerufen haben. Neben genetischen konnten die Wissenschaftler auch ökologische Veränderungen beobachten: In beiden Ansätzen siedelten sich pflanzliche Konkurrenten wie Löwenzahn an - deutlich mehr im insektenfreien Beet. Dies wiederum reduzierte dort die Zahl der Nachtkerzen.

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Quelle:
SZ vom 05.10.2012
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