Süddeutsche Zeitung

Erbgut-Untersuchungen:Die ignorierten Risiken

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Kommerzielle Erbguttests sollen vor einem Alzheimer- oder Herzinfarktrisiko warnen. Doch viele Menschen, die sich untersuchen lassen, ändern ihr Verhalten trotz der entsprechenden Informationen nicht.

Katrin Blawat

Wie verkraftet es ein Mensch, wenn er, zu Hause vor dem Computer sitzend, erfährt, dass er ein hohes Risiko für Alzheimer oder einen Herzinfarkt hat? Offenbar ist es ihm egal. Dies lässt zumindest eine Studie des Mediziners Eric Topol vom kalifornischen Scripps Translational Science Institute vermuten (New England Journal of Medicine, online).

Mehr als 2000 Frauen und Männer zwischen 19 und 85 Jahren nahmen an einer Erbgut-Untersuchung teil, die eine amerikanische Firma im Internet anbietet. Der Kunde schickt etwas Speichel ein; zwei Wochen später stehen die Testergebnisse zum Abruf bereit. Mehrere Unternehmen bieten dies für 300 bis 1500 Euro an. Die Firma, deren Test in der Studie verwendet wurde, hatte laut den Autoren keinen Einfluss auf die Untersuchung.

Die Probanden ließen ihr Risiko für 22 Krankheiten bestimmen. Darunter befanden sich solche wie Herzinfarkt und Typ-2-Diabetes, bei denen sich das Erkrankungsrisiko durch das eigene Bewegungs- und Ernährungsverhalten beeinflussen lässt.

Die Auswertung enthielt auch Aussagen über Autoimmun- und Krebserkrankungen sowie über Alzheimer. Ausbruch und Verlauf dieser Leiden lassen sich vom Betroffenen kaum oder gar nicht beeinflussen. Das individuelle Risiko erschien in der Auswertung als Prozentzahl im Vergleich zum durchschnittlichen Risiko gleichaltriger und gleichgeschlechtlicher Menschen. Lag das individuelle Risiko deutlich über dem des Durchschnitts, erschien das Ergebnis in Orange, sonst in Grau.

Unabhängig davon, ob die Auswertung ein hohes oder niedriges Risiko für eine oder mehrere Krankheiten zeigte, änderten die Probanden nach dem Test weder ihr Bewegungs- noch ihr Ernährungsverhalten. Auch gab es keinen Zusammenhang zwischen dem Testergebnis eines Probanden und dem Ausmaß, in dem er sich ängstigte.

Allerdings beendete fast die Hälfte der Probanden die Studie vorzeitig - möglicherweise waren dies jene Menschen, die sich vor der Auswertung fürchteten. Zwar bekundeten Probanden, die für mehrere Krankheiten ein erhöhtes Risiko hatten, dass sie in Zukunft häufiger an Früherkennungs-Programmen teilnehmen wollten.

Ob sie dies tatsächlich taten, erfasste die Studie nicht. "Generell ist die Wahrscheinlichkeit, dass solche Absichten umgesetzt werden, jedoch extrem gering", schreiben die Autoren. Dies sei ein Glück, denn die meisten Screening-Programme seien unsinnig für Menschen, die keine Symptome zeigen.

Nur zehn Prozent der Teilnehmer ließen sich ihre Auswertung von einem Genetiker der Firma erklären, obwohl dies kostenlos angeboten wurde. Jeder Vierte besprach die Testergebnisse mit einem Allgemeinmediziner. Einer früheren Studie zufolge fühlt sich allerdings nur einer von zehn Ärzten ausreichend qualifiziert, um aus kommerziellen Erbgut-Tests medizinische Handlungsempfehlungen abzuleiten.

Kritiker der Tests befürchten, dass sich die Kunden von den Ergebnissen, deren Aussagekraft nicht einmal belegt ist, verängstigen lassen und unsinnige Folgeuntersuchungen fordern.

Dies sei nicht zu befürchten, sagt Studienleiter Topol. Seine Probanden - gebildet und gut verdienend, viele arbeiteten im Gesundheitswesen - seien repräsentativ für jene Gruppe von Menschen, die sich auch außerhalb einer Studie für einen Erbgut-Test entschieden.

Robert Green, der an der Boston University untersucht, wie Menschen mit ihrem Alzheimer-Risiko umgehen, lobte die Studie als "wichtigen Beitrag".

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Quelle:
SZ vom 14.01.2011
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