Süddeutsche Zeitung

Entschuldigung für Verbrechen im Dritten Reich:Ärzte stellen sich ihrer Vergangenheit

Viele Mediziner begingen oder duldeten in der Nazizeit qualvolle Menschenversuche, Morde an Menschen mit Behinderung und die Vertreibung jüdischer Kollegen. Dass die Ärzteschaft nun Opfer und ihre Hinterbliebenen um Verzeihung bittet, verdient Lob. Doch jetzt kommt es auf die Folgen an.

Jan Heidtmann

1947 standen in Nürnberg 20 Ärzte vor Gericht. Gerade einmal 20. Angeklagt für Verbrechen gegen die Menschlichkeit während des Nationalsozialismus. 65 Jahre später hat sich nun der Ärztetag auf seinem 115. Treffen an demselben Ort zu dem, was Mediziner zwischen 1933 und 1945 verbrochen haben, klar erklärt.

Denn nicht 20 Ärzte, sondern ein großer Teil des Berufsstands hat die Vertreibung jüdischer Kollegen geduldet und betrieben; Ärzte haben systematisch unfassbar qualvolle und sinnlose Versuche an ihnen ausgelieferten Menschen unternommen; Ärzte haben die perverse Rassenlehre der Nationalsozialisten umgesetzt und als erbkrank stigmatisierte Menschen zu Hunderttausenden sterilisiert und getötet. Angestoßen durch eine Gruppe von 40 Medizinern und Medizinhistorikern bat die Ärzteschaft ihre Opfer und deren Hinterbliebenen nun in seltener Eindeutigkeit um Verzeihung.

Angesichts ihrer Verbrechen mag man es für vollkommen unangemessen halten, die Ärzteschaft für ihre Erklärung zu loben. Und doch ist es richtig, es zu tun. Der Streit um die Wehrmachtsausstellung oder die Aufarbeitung der Verbrechen deutscher Diplomaten während des Nationalsozialismus hat gezeigt, wie schwierig es für einzelne Berufsstände ist, ihre Schuld einzugestehen.

Interessant wird nun aber sein, welche Folgen die Erklärung des Ärztetages hat: Noch immer sind einige hundert Opfer von Zwangssterilisation und Menschenversuchen am Leben. Ihnen würdig gegenüberzutreten, wäre die eine Aufgabe der Ärzteschaft. Die andere, tatsächlich alle Archive zu öffnen, um so eine vollständige Aufarbeitung der NS-Verbrechen deutscher Mediziner zu ermöglichen.

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Quelle:
SZ vom 24.05.2012
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