Süddeutsche Zeitung

Die Stunde der Proteine:Was nach den Genen kommt

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Seit 30 Jahren versuchen Forscher, die Gesamtheit aller Proteine eines Organismus zu entschlüsseln. Nun ist es erstmals gelungen.

Christina Berndt

Was bedeuten schon die Gene? Eine Raupe und ihr Schmetterling haben dieselben, und doch sehen beide ganz anders aus. Auch beim Menschen zeigt sich, auf welch unterschiedliche Weise dieselben Gene genutzt werden können: Hände und Füße, Leber und Herz - ihre Zellen tragen alle dieselben Gene, erfüllen aber ganz andere Aufgaben.

In jeder Zelle ist nur ein Teil der Gene aktiv; nur dieser Teil wird in Proteine umgeschrieben, die eigentlichen Funktionsträger im Körper. Schon seit 30 Jahren mühen sich Forscher, die Gesamtheit aller Proteine in Zellen zu entschlüsseln - ihr Proteom.

Einer Forschergruppe um Matthias Mann vom Max-Planck-Institut für Biochemie in Martinsried bei München ist das nun gelungen. In der Zeitschrift Nature (online) präsentieren sie erstmals die Analyse eines Proteoms, das der Bäckerhefe.

Ausgerechnet Bäckerhefe

4400 Proteine identifizierten die Biochemiker auf einen Schlag. Mit Hilfe einer feinen Messmethode namens Massenspektrometrie konnten sie so nicht nur alle Proteine ermitteln, die sich zu einem Zeitpunkt gerade in einer Hefezelle fanden; sie bestimmten auch ihre exakte Menge. "Das ist ein echter Durchbruch", lobt der Zellbiologe Alfred Nordheim von der Universität Tübingen. "Vielleicht fehlt noch das ein oder andere Protein", sagt er. "Aber im Großen und Ganzen wurde das gesamte Proteom erfasst."

Ausgerechnet Bäckerhefe? Der Pilz ist neben Fruchtfliege und Maus ein beliebtes Forschungsobjekt. Er war vor zwölf Jahren auch der erste zellkernhaltige Organismus, dessen Erbgut mit all seinen 6275 Genen entziffert wurde. Für Proteomiker ist die Hefe besonders interessant, weil ihre Zellen in zwei Formen vorkommen - sozusagen als Körperzellen und als Sperma. Im erwachsenen Stadium benutzen sie ganz andere Proteine als im fortpflanzungsfähigen; gleichwohl besitzen beide Zellsorten dieselben Gene. Ihr Vergleich zeigte Mann jene Proteine, die bei der Fortpflanzung eine Rolle spielen.

Solche Vergleiche sind es auch, die die Proteomik für die Medizin interessant machen: Wenn Forscher die Proteine in Krebszellen mit denen aus gesunden Zellen vergleichen, finden sie womöglich Ansätze für neue Therapien. "Der Weg zum menschlichen Proteom ist gar nicht mehr weit", sagt Mann. Menschliche Zellen enthielten geschätzte 10.000 Proteine, also nur gut doppelt so viele wie Hefezellen: "Ich schätze, in zwei bis drei Jahren sind wir soweit."

Trotz Manns innovativer Technologie bleibt die Proteomanalyse allerdings vorerst erheblich aufwändiger als die des Erbguts. Die ist inzwischen so stark automatisiert, schimpfte der Nobelpreisträger James Watson einmal, dass sie "jeder Affe" erledigen könne.

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SZ vom 30.09.2008/mcs
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