Süddeutsche Zeitung

Verhaltensbiologie:Grillen bauen Megafon für mehr Dating-Erfolg

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Leise Männchen haben wenig Chancen, eine Partnerin zu finden. Doch die Insekten wissen sich zu helfen.

Von Tina Baier

Groß muss er sein und vor allem laut, der Grillenmann, damit ihn die Weibchen attraktiv finden. Um zu demonstrieren, dass sie geeignete Väter sind, setzen sich die Männchen der Blütengrille Oecanthus henryi auf den Rand eines Blattes und musizieren, was das Zeug hält. Die Weibchen hören genau hin und suchen denjenigen auf, der am lautesten zirpt.

Für leise Grillenmännchen ist das ein Problem. Allerdings eines, für das sie eine Lösung gefunden haben, wie der Biologe Rittik Deb vom Indian Institute of Science in Bangalore im Wissenschaftsjournal Proceedings of the Royal Society B schreibt. Die Insekten bauen sich einfach eine Art Megafon, um ihr in den Ohren der Weibchen mickriges Gezirpe attraktiver zu machen. Und das geht so: Erst ein Loch in die Mitte eines nicht zu kleinen Blattes beißen, dann Kopf und Vorderbeine hindurchschieben - fertig ist der Zirp-Verstärker.

Mit Verstärker ist das Gezirpe etwa so laut wie ein Staubsauger

Ohne ein solches Megafon erzeugen kleine Männchen einen Geräuschpegel von etwa 60 Dezibel, schreibt Deb in seiner Untersuchung. Das entspricht in etwa der Lautstärke der Hintergrundgeräusche in einem gut besuchten Restaurant. Mit Megafon erreichen die körperlich benachteiligten Grillen immerhin 70 Dezibel - vergleichbar in etwa dem Lärm, den ein Staubsauger macht. Je größer das Blatt, desto größer ist der Effekt. Deshalb suchen die Grillenmännchen ihr Megafonblatt auch mit Sorgfalt aus und beißen das Loch dann genau an der Stelle hinein, die unter akustischen Gesichtspunkten optimal ist.

Dass der Trick funktioniert, hat Deb im Labor gezeigt. Kleine Grillenmännchen, die sich ein Megafon bauten, zogen in seinem Experiment nicht nur mehr Weibchen an. Die Paarung dauerte auch länger, was die Wahrscheinlichkeit erhöht, dass sie erfolgreich ist.

Aus wissenschaftlicher Sicht ist das erstaunliche Verhalten der kleinen Grillenmännchen in vielerlei Hinsicht interessant. Zum einen ist es ein Beispiel für die Herstellung und den Gebrauch eines Werkzeugs durch ein Insekt. Biologen finden zwar immer mehr Beispiele für diese Fähigkeit, die lange Zeit als typisch menschlich galt, im Tierreich. Doch hat man sie bisher vor allem bei Tieren beobachtet, die als besonders intelligent gelten.

Zum anderen ist es ein Beispiel für Schummeln, wie man es etwa bei Menschen beobachtet, die beim Online-Dating ein falsches Profilbild haben oder ihr Alter verändern, um attraktiver zu erscheinen, als sie eigentlich sind. Die spannende Frage ist, wie ein solches Verhalten im Lauf der Evolution bei Grillen entstehen konnte.

Im Prinzip beherrschen alle Grillenmännchen der Art Oecanthus henryi den Megafon-Bau. Tatsächlich nutzen diese Fähigkeit aber nur etwa fünf Prozent, schreibt Deb. In seinen Experimenten konnte der Biologe zeigen, dass es vor allem kleine, körperlich benachteiligte Exemplare mit leisem Gezirpe sind, die sich die Mühe machen, einen Verstärker zu bauen.

Er geht deshalb davon aus, dass es sich bei dem Verhalten um eine so genannte alternative Reproduktionsstrategie handelt, die Grillenmännchen nur dann einsetzen, wenn sie mit der herkömmlichen Methode keine Chance haben. Oder anders gesagt: Nicht nur bei Menschen gibt es verschiedene Arten von Attraktivität.

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