Süddeutsche Zeitung

Weltnaturkonferenz:Erfolg oder Scheitern - in Montreal ist beides möglich

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Kurz vor dem Ende des Weltnaturgipfels ist völlig offen, ob sich die Staaten auf ein historisches Abkommen einigen. Warum die deutsche Umweltministerin vorsichtig optimistisch ist.

Von Thomas Krumenacker, Montreal

Trotz Fortschritten in einigen zentralen Punkten bleibt ein Erfolg des Weltnaturgipfels COP15 in Montreal bis zuletzt ungewiss. Kurz vor Beginn der entscheidenden Schlussrunde war am Sonntagmorgen offen, ob alle 196 Vertragsstaaten der UN-Biodiversitätskonvention der Verabschiedung des geplanten Weltnaturabkommens zustimmen würden. Einige Entwicklungsländer zogen zum Ende der Beratungen auf Ministerebene in Montreal überraschend strikte rote Linien. Weil das Abkommen einstimmig verabschiedet werden muss, versuchten sechs zu Sondergesandten berufene Minister bis zur letzten Minute, Kompromisse auszuhandeln.

Bundesumweltministerin Steffi Lemke (Grüne) zeigte sich verhalten zuversichtlich in Bezug auf einen erfolgreichen Abschluss, betonte im Gespräch mit der Süddeutschen Zeitung aber zugleich, der Ausgang sei offen. "Die Möglichkeiten für ein starkes Abkommen, das tatsächlich die Natur weltweit schützt, sind da", sagte Lemke in Montreal. Es werde aber weiter hart gerungen, weil es um substanzielle Interessen vieler Länder gehe. "Pestizidreduktionen, der Abbau umweltschädlicher Subventionen und generell ein besserer Schutz für viele Gebiete - das sind dicke Brocken, und deshalb ist es offen, wie es in 24 oder 48 Stunden ausgegangen sein wird", sagte sie am späten Samstagabend (Ortszeit) in Montreal.

Als größte Hürde auf dem Weg zu einer Einigung gilt der Streit über die Finanzierung des Naturschutzes in den Entwicklungsländern. Dort befinden sich die artenreichsten Gebiete der Erde, weshalb sich auch der Schutz der Biodiversität dort konzentrieren muss. Die Entwicklungsländer fordern von den Industrieländern wie beim Klimaschutz mindestens 100 Milliarden Dollar pro Jahr, um ihre Biodiversität effektiv schützen zu können. Dem stehen bislang Zusagen von rund zehn Milliarden gegenüber. Eine weitere Verringerung der Lücke durch eine Aufstockung der Hilfen auf etwa 30 bis 35 Milliarden wurde in Verhandlungskreisen als möglich erachtet. Allein Deutschland hat angekündigt, seinen Beitrag für den internationalen Naturschutz bis 2025 auf 1,5 Milliarden Euro pro Jahr zu verdoppeln.

Sonderbeauftragter Flasbarth: "Erfolg nicht gesichert"

Der von der chinesischen COP-Präsidentschaft als Sonderbeauftragter berufene Staatssekretär im Bundesentwicklungsministerium, Jochen Flasbarth, forderte Kompromisse auf Seiten der Industrie- und der Entwicklungsländer. Andernfalls werde das historische Abkommen scheitern. "Wenn einige sich entscheiden, sich nicht zu bewegen, ist es noch nicht ausgemacht, dass wir hier mit einem Erfolg herausgehen", sagte er der SZ. Für die 100-Milliarden-Dollar-Forderung gebe es wenig Chancen, wenn nicht die Zahl derjenigen, die tatsächlich auch zahlen, deutlich erweitert werde. Ausdrücklich nahm er dabei China in die Pflicht. Das Land beharrt unter Berufung auf seine 1992 in der Klimarahmenkonvention vorgenommene Einstufung als Entwicklungsland darauf, als "Nehmerland" zu gelten. "Die Welt gegenüber 1992 hat sich dramatisch verändert", sagte Flasbarth mit Blick auf den Aufstieg des Landes zur zweitgrößten Volkswirtschaft der Erde. "Länder wie China, aber auch aus der arabischen Welt, können sich kaum noch auf diese Jahreszahl zurückziehen."

Im Schlussplenum der angereisten Minister aus rund 140 der 196 Mitgliedstaaten der Biodiversitätskonvention wurden am Tag vor Beginn der Schlussverhandlungen fundamentale Differenzen deutlich. Der stellvertretende indonesische Umweltminister Alue Dohong nannte als "rote Linie", dass in einem Abkommen keine Obergrenze für den Einsatz von Pestiziden in der Landwirtschaft festgelegt werden dürfe. Schon in den Verhandlungen der vergangenen Tage hatte das Land erklärt, eine Deckelung des Einsatzes der naturschädlichen Chemikalien würde die Lebensmittelversorgung in dem stetig wachsenden Land gefährden. Ähnlich äußerte sich Indien.

Dagegen machte EU-Umweltkommissar Virginijus Sinkevičius deutlich, dass die 27 Mitgliedstaaten auf einer Verringerung des Pestizidgebrauchs um 50 Prozent beharren. "Wer ein Boot vor dem Untergang bewahren will, muss alle Löcher stopfen", sagte Sinkevičius. Er nannte zudem die Renaturierung von weltweit sechs Milliarden Hektar Ökosystemen an Land und im Meer und einen "wirklich ehrgeizig ausgestalteten Schutz von jeweils 30 Prozent der Meeres- und der Landfläche des Planeten als unverzichtbar".

Darüber, ob diese Ziele mit festen Zahlenvorgaben im Abkommen festgeschrieben werden sollen, gibt es auch nach fast vierjährigen Vorverhandlungen keine Einigung. Die endgültige Entscheidung müssen die Minister treffen. Bis Montag sollen die Minister und Ministerinnen der 196 Mitgliedstaaten der UN-Biodiversitätskonvention - alle Länder der Erde mit Ausnahme der USA und des Vatikans - den neuen Weltnaturvertrag verabschieden. Das Abkommen enthält nach derzeitigem Stand 22 Ziele, mit denen bis zum Jahr 2030 das Artensterben und die ungebremste Zerstörung von Lebensräumen gestoppt und die Natur auf einen Pfad der Erholung gebracht werden sollen. Wissenschaft, Umweltorganisationen und viele Staaten erwarten ein Abkommen, das für den Natur- und Klimaschutz so bedeutend wird wie der Klimavertrag von Paris, der fast auf den Tag genau vor sieben Jahren nach dramatischen Verhandlungen beschlossen wurde.

Während der mehr als einwöchigen Verhandlungen in Montreal wurden die Ziele für mehr Naturschutz und eine nachhaltigere Nutzung der natürlichen Ressourcen in zahlreichen Punkten abgeschwächt, um sie für alle Länder zustimmungsfähig zu machen. Ein erster Entwurf für das Abkommen sah beispielsweise vor, das Aussterben von Tier- und Pflanzenarten bis 2030 zu halbieren. Im aktuellen Entwurf wird dieser Wert nur noch mit höchstens 20 Prozent angegeben. Allerdings ist selbst dies als umstritten in Klammern gesetzt.

Alle zentralen Streitpunkte sind bis zuletzt ungeklärt. Es wurde erwartet, dass die chinesische Konferenzpräsidentschaft bis Sonntagabend einen Entwurf für das endgültige Abkommen vorlegen werde, der dann die Grundlage für die allerletzte Verhandlungsrunde und die Verabschiedung des Abkommens wäre.

Während ein Abkommen nach einhelliger wissenschaftlicher Meinung unerlässlich wäre, um das größte Artensterben in der Geschichte der Menschheit zu stoppen und so auch die Lebensgrundlagen für Menschen zu sichern, zeigten sich langjährige Beobachter der Biodiversitätsverhandlungen skeptisch mit Blick auf das Zustandekommen eines Abkommens. "Diesmal ist die Stimmung aggressiver, die Kompromissbereitschaft geringer", sagte Axel Paulsch. Der Vorsitzende des Instituts für Biodiversität begleitet die Biodiversitätsverhandlungen seit zwanzig Jahren. "Dass wir einen Tag vor Abschluss des Gipfels noch keinen einzigen der vorher bekannten Knackpunkte gelöst haben, ist ein schlechtes Zeichen."

Entsprechend eindringlich klangen die Appelle zum Ende der offiziellen Ministerberatungen. Der kanadische Umweltminister Steven Guilbeault appellierte an seine Kollegen aus aller Welt, den Weg für ein Abkommen freizumachen, und erinnerte dabei an das Pariser Klima-Abkommen für den Kampf gegen die Erderwärmung. "Konsens ist möglich, wir haben es in Paris gemacht, wir können es in Montreal machen. Wir haben die Kraft, den Lauf der Geschichte zu ändern", sagte er. "Geben wir der Natur einen Paris-Moment."

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