Süddeutsche Zeitung

Artenvielfalt:Krieg der Hörnchen

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Die Europäischen Eichhörnchen werden zunehmend von einem Verwandten aus Nordamerika verdrängt. Den Einwanderern hilft ein Virus, das ihnen selbst nicht schadet, die Eichhörnchen aber umbringt. Doch die biologische Waffe scheint abzustumpfen.

Von Katrin Blawat

Großbritannien gehört ihnen schon lange, Norditalien ebenfalls. Vermutlich werden sie es bald auch in die Schweiz und bis nach Deutschland schaffen. Beliebt sind die Fremden aus Übersee nicht, aber sie sind sehr erfolgreich.

Weder Gebirge noch Flüsse sind ihnen ein Hindernis. Das Grauhörnchen versteht sich bestens darauf, die Fremde zur neuen Heimat zu machen. Den Preis dafür zahlen die Alteingesessenen: die Europäischen Eichhörnchen. Sie verschwinden, wo ihre Verwandten aus Nordamerika durch die Bäume hüpfen.

Seinen Siegeszug verdankt das Grauhörnchen zum Teil einer eher plumpen Taktik: viel fressen, viel kämpfen, viele Nachkommen zeugen. Vor allem aber verfügt es über eine tödliche biologische Waffe. Viele Grauhörnchen tragen ein pockenähnliches Virus in sich, das ihnen selbst nicht schadet. Die Europäischen Eichhörnchen aber sterben an diesem Erreger. Ist ein heimisches Tier erst einmal infiziert, hat es keine Chance mehr - so hoffnungslos schien die Lage für die Europäer bislang zu sein.

Nun aber entwickeln die roten Hörnchen möglicherweise eine Resistenz gegenüber dem eingeschleppten Virus. Das vermuten Wissenschaftler der Universität Liverpool, nachdem sie Eichhörnchen in einem Naturschutzreservat nördlich von Liverpool untersucht haben. Grauhörnchen werden in dem Gebiet gezielt getötet, nur deshalb kann sich die heimische Art dort halten.

Wie nun Bluttests nahelegen, haben sich einige der europäischen Hörnchen offenbar mit dem eingeschleppten Virus infiziert, dies aber überlebt. Schon vorher hatte es Hinweise darauf gegeben, dass jüngst die Zahl der roten Hörnchen an einigen Orten etwas gestiegen ist. Ob die Ergebnisse der Liverpooler Forscher tatsächlich eine generelle Entwicklung unter Europäischen Eichhörnchen widerspiegeln, ist noch offen. Doch die Hoffnungen sind groß, dass sich die roten Nager endlich gegen die Eindringlinge behaupten können.

Zumal es beim Krieg der Hörnchen um weit mehr geht als nur um die Frage, ob ein rotes oder ein graues Tier die Baumstämme hoch flitzt. Das Schicksal der Hörnchen verdeutlicht ein grundsätzliches Dilemma der Ökologie: Wie geht man mit tierischen Eindringlingen um? Darf man fremde Arten töten, um heimische zu retten? Kann, soll oder muss der Mensch in der Natur gerade rücken, was er vor Jahrzehnten oder Jahrhunderten durcheinander gebracht hat? Schließlich toben heute in Teilen Europas nur deshalb Grauhörnchen durch Wälder und Parks, weil sie der Mensch einst so putzig fand, dass er sie vor mehr als hundert Jahren aus Nordamerika mitgenommen hat.

Im Fall der Hörnchen schlagen sich viele Wissenschaftler und Naturschützer eindeutig auf die Seite der Roten. Mit Fallen, Knüppeln und Gift versuchen sie die Grauen aus den Bäumen zu vertreiben. In Norditalien hilft sogar ein auf viereinhalb Jahre angelegtes EU-Projekt bei der "Eradikation und Kontrolle der Grauhörnchen". In Großbritannien hingegen hoffen manche Naturschützer auf die Unterstützung experimentierfreudiger Köche und Restaurantbesucher. "Iss ein graues, rette ein rotes" - dieser Slogan sollte den Briten Grauhörnchen-Ragout und -Braten schmackhaft machen.

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Quelle:
SZ vom 26.11.2013
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