Süddeutsche Zeitung

Archäologie:Ein Dach über dem Tempel

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Vor 12.000 Jahren errichteten Menschen in der heutigen Türkei gewaltige Steinkreise: Göbekli Tepe gilt als die älteste bekannte Kultanlage. Doch handelt es sich tatsächlich um einen Tempel? Anhand des Bauwerks versuchen Wissenschaftler die Frage zu klären, wie der Mensch sesshaft wurde.

Hubert Filser

Tempel-Berg nennen ihn die Berichterstatter, oder auch das Stonehenge der Steinzeit. Der Göbekli Tepe mit seinen gewaltigen Steinkreisen gilt als die älteste bekannte Kultanlage, vor 12.000 Jahren zu einer Zeit errichtet, als die Menschen noch nicht sesshaft waren.

"Am Anfang waren die Tempel, dann erst kommt die Stadt", lautet die griffige Formel des Berliner Archäologen Klaus Schmidt, der vor 17 Jahren die ersten Spuren der monumentalen Anlage auf einem Hügel im Südosten der heutigen Türkei nahe der Stadt Sanliurfa entdeckte.

Diese These war schon immer umstritten, doch jetzt behauptet ein kanadischer Archäologe, dass er Schmidts Interpretation der Bauten als Tempel sogar widerlegen könne. Edward Banning von der Universität von Toronto bestreitet, dass die Menschen damals so klar zwischen heiligen und alltäglichen Gebäuden unterschieden ( Current Anthropology, Bd. 52, S. 619, 2011).

Er hält die großen Kultanlagen für repräsentative Wohnbauten. Große Clans könnten in ihnen gelebt haben, die Verzierungen mit Zeichen und zahlreichen Tieren wie Schlangen oder Wildschweinen seien illustrierte Geschichten ihres Lebens.

Im Kern geht es dabei um die grundsätzliche Frage, wie der Mensch sesshaft wurde: Entstanden die Städte aus kleinen Siedlungen? Mussten die Menschen im fruchtbaren Halbmond zunächst Ackerbau und Viehzucht erfinden, ehe sie in der Lage waren, solch mächtige Monolithe zu bauen? Oder hat doch Schmidt mit seiner Tempel-Theorie recht?

In Bannings Artikel sind zahlreiche Wissenschaftler zitiert, die das Für und Wider der beiden Deutungen diskutieren. Ein Detail erscheint den Kritikern besonders wichtig: Waren die monumentalen Steinkreise mit einem Dach versehen oder nicht? Denn ohne Dach hätten etwaige Bewohner von Göbekli Tepe wohl kaum gehaust. Banning spekuliert, dass die beiden mächtigen Zentralpfeiler der Anlage als Auflagefläche für eine Balkenkonstruktion aus bis zu sechs Meter langen Stämmen gedient haben könnten.

Das Fundament der Zentralpfeiler ist viel zu schwach, um sie mit einer Dachkonstruktion zu belasten", erwidert Klaus Schmidt. "Sie würden bei Belastung nach vorne umfallen. Zudem sind die Pfeiler ja im Kern Statuen, sie stellen menschenähnliche Wesen dar. Da wäre es doch komisch, gerade diesen Wesen ein Dach auf den Kopf zu legen."

Würde Schmidt nachweisen können, dass die Gebäude kein Dach hatten, wäre die Wohnhaus-These wohl erledigt. Allerdings gesteht auch er: "Für uns ist diese Frage noch nicht entschieden."

Doch selbst mit Dach wäre die profane Nutzung der Anlage noch nicht erwiesen. Zu erklären ist auch die Einzigartigkeit der Monumentalarchitektur in den ältesten Schichten am Göbekli Tepe. "Wir finden hier eine völlig andere Bauform als in den übrigen Siedlungen dieser Region", sagt Schmidt. "Nach allem, was wir bei den Ausgrabungen gesehen haben und was wir aufgrund von geomagnetischen Untersuchungen künftig noch erwarten, besteht die älteste ausgegrabene Schicht ausschließlich aus monumentalen Steinkreisen."

Vielleicht habe es irgendwo noch kleinere Unterkünfte für die wenigen Menschen gegeben, die ganzjährig in der Nähe der Heiligtümer gelebt haben, Steinmetze zum Beispiel oder Wächter der Anlage. Aber Spuren von ihnen habe man bislang nicht gefunden.

Die Interpretation der Funde ist anspruchsvoll, weil es in der gesamten Region weder Vorläuferarchitektur gibt noch schriftliche Dokumente. Die Anlage entstand am Ende der Eiszeit wie aus dem Nichts. Entsprechend viele offene Fragen gebe es noch. "Wir wissen zum Beispiel überhaupt nicht, woher die Füllung der Kultanlagen stammt", sagt Schmidt. In der größten Anlage fanden sich 500 Kubikmeter Steine, Tierknochen und Handwerksgeräte wie Steinklingen.

Klar ist nur, dass alle Knochen von Wildtieren wie Auerochsen oder Gazellen stammen. Bislang fanden sich keine Hinweise auf Rinder, Schafe oder domestizierte Getreidearten. Das stützt die These Schmidts: Ohne Feuerstellen und gezähmte Tiere lässt sich Göbekli Tepe schwerlich als Siedlung sesshafter Menschen vorstellen.

Aber vielleicht war der Tempel-Berg ein Ort der Toten. Schmidt vermutet nämlich, dass die Heiligtümer auch eine Art Tor ins Jenseits waren, vielleicht als Grabanlagen dienten. Unter den Terrazzo-Böden der Steinkreise und unter mächtigen Steinplatten nahe dem Eingang der Anlage könnten die Überreste wichtiger Clan-Führer liegen. Dann wäre auch klar, warum die Anlagen relativ schnell nach ihrer Errichtung wieder zugefüllt wurden.

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Ullstein Verlag, Gebunden, 336 Seiten, € 18,00, ISBN-10: 3550088221, ISBN-13: 9783550088223

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Quelle:
SZ vom 09.12.2011
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