Süddeutsche Zeitung

Wetterextreme:"Wir stehen am Rande einer Katastrophe"

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Die längste Dürre seit Jahrzehnten: Weitgehend unbeachtet von der Welt, droht in Ostafrika eine Hungersnot. Welche Rolle spielt der Klimawandel?

Von Bernd Dörries, Kapstadt

"Das Land war praktisch leer und still, kein Vieh in Sicht", sagt Tomsom Phiri. Früher hätte es auf dem Hof im Norden Kenias vor Tieren nur so gewimmelt, bis zu 300 Schafe, Kamele, Ziegen und Rinder habe die kleine Hirten-Familie gehabt. Nun sei alles weg, schreibt der Mitarbeiter des Welternährungsprogrammes nach einem Besuch. Die Dürre in ganz Ostafrika sei verheerend "und wird wahrscheinlich noch schlimmer werden". Am Horn von Afrika herrscht derzeit eine der schlimmsten Dürren seit vier Jahrzehnten, drei Regenzeiten nacheinander sind ausgefallen, Frauen und Kinder müssen immer längere Strecken zurücklegen, um überhaupt noch an Wasser zu kommen, Wege von täglich 15 Kilometern sind keine Seltenheit mehr. Weil kein Wasser für die Felder mehr da ist, sind die Ernten um bis zu 87 Prozent zurückgegangen. In Äthiopien, Somalia und Kenia haben rund 14 Millionen Menschen nicht ausreichend zu essen, die Hälfte davon sind Kinder.

Mehrere Millionen Menschen sind auf der Suche nach Wasser auf der Flucht, eine Zahl, die noch deutlich ansteigend könnte, weil Meteorologen davon ausgehen, dass die bald beginnende Regenzeit wieder spärlich ausfallen könnte. In vielen Regionen verenden massenhaft Tiere, das Einkommen vieler Familien ist auf Jahre hin zerstört. Besonders betroffen ist derzeit Somalia. "Wir stehen heute in Somalia vor einer Reihe von harten Wahrheiten", sagt Javier Rio Navarro von ECHO Somalia, einer Nothilfeorganisation der Europäischen Union. "Die Folgen der Dürre sind katastrophal und stellen eine sehr reale Gefahr einer Hungersnot im Lande dar. Die andere Wahrheit ist, dass die Kapazitäten der Partner überfordert sind und dass zusätzliche Mittel nur schwer zu beschaffen sind."

Noch vor fünf Jahren konnten humanitäre Organisationen eine mögliche Hungersnot abwenden, indem sie die Gemeinden in schwer zugänglichen Gebieten rechtzeitig mit Hilfsgütern versorgten. Dieses Mal fehlen Geld und Nahrung. "Wir stehen definitiv am Rande einer Katastrophe", sagte Rein Paulsen, Direktor für Notfälle und Widerstandsfähigkeit bei der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen (FAO). "Die Zeit läuft uns davon."

Seit Oktober 2020 sind drei Regenzeiten ausgeblieben

Normalerweise gibt es in den Ländern am östlichen Horn von Afrika zwei Regenzeiten im Jahr - eine "kurze" von Oktober bis Dezember und eine lange Saison von März bis Mai. Seit Oktober 2020 sind drei aufeinanderfolgende Regenzeiten ausgeblieben, und für März bis Mai werden erneut unterdurchschnittliche Niederschläge vorhergesagt. "Wir sehen hier ganz klar eine Folge des Klimawandels", sagt Gianfranco Rotigliano, der Repräsentant von Unicef in Äthiopien. Die Einwohner am Horn von Afrika seien Dürren durchaus gewohnt - nur nicht in so kurzen Abständen.

Eine Dürre über vier aufeinanderfolgende Regenzeiten hat es seit Beginn der Wetteraufzeichnungen im Jahr 1920 nicht gegeben. Wissenschaftler gehen davon aus, dass die Trockenperioden in Ostafrika auch mit La Niña zusammenhängen, einem globalen Wettermuster, Gegenstück zu El Niño, das etwa alle drei bis fünf Jahre auftritt und dessen Auswirkungen durch den Klimawandel noch verstärkt werden können. In La-Niña-Jahren kühlt sich das Ozeanwasser im östlichen Pazifik ab. Dadurch ist die Meeresoberfläche im westlichen Pazifik wärmer, die Luft über einer Region bei Indonesien erwärmt sich, steigt auf und strömt westlich bis nach Ostafrika. Dort trifft sie auf Luft, die aus der entgegengesetzten Richtung vom Atlantik kommt, und sinkt ab. Dadurch wird es in Ostafrika trocken und heiß, zudem entsteht eine Art Barriere für einströmende Feuchtigkeit aus dem Indischen Ozean.

Die Auswirkungen der klimatischen Veränderungen werden vom Krieg in der Ukraine noch verschärft. Die Aufmerksamkeit vieler Spender liegt nicht auf Afrika. Die Kämpfe in Osteuropa haben wichtige Exportrouten für Weizen und Sonnenblumenöl lahmgelegt. Bis zu 90 Prozent des importierten Weizens in Ostafrika kamen bisher entweder aus Russland oder aus der Ukraine. Die Weizenpreise sind seit der Invasion um 80 Prozent gestiegen, überall ist das Brot bereits teurer geworden. In Äthiopien, durch den Bürgerkrieg ohnehin von einer hohen Inflation gebeutelt, die viele Familien an den Rand des Ruins bringt, sind die Preise für Sonnenblumenöl um mehr als 200 Prozent gestiegen. Eine Besserung ist nicht in Sicht, die Preise werden wohl weiter steigen. Hilfe für Ostafrika ist im Rest der Welt nicht besonders weit oben auf der Prioritätenliste.

"Das Trauma ist real, und die Menschen leiden im Stillen", sagte Jane Meriwas, Bäuerin und Gründerin des Samburu Women Trust auf einer Konferenz in Kenia. "Wir sollten nicht die Augen verschließen und sagen, dass Afrika nicht leidet, und uns auf die Ukraine konzentrieren. Wir sollten vor dieser Krise nicht die Augen verschließen, denn wir sind alle gleich."

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