Süddeutsche Zeitung

80 Jahre Kernkraft:Unglaubliche Energie

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In Berlin gelang Otto Hahn im Dezember 1938 die erste Kernspaltung. Die theoretische Erklärung dafür lieferte seine langjährige Mitarbeiterin Lise Meitner. Die Entdeckung veränderte die Welt.

Von Johanna Pfund

Es ist natürlich müßig, darüber zu diskutieren, ob es die aktuelle Auseinandersetzung zwischen den USA und Iran ohne den 17. Dezember 1938 geben würde. An diesem Dezembertag experimentieren der Chemiker Otto Hahn und sein Assistent Fritz Straßmann am Kaiser-Wilhelm-Institut in Berlin mit Uran. Sie beschießen die Atome mit Neutronen und rechnen damit, schwerere Elemente, Transurane, zu erzeugen. Stattdessen bleiben Barium, Krypton und Xenon, in der Summe leichter als das Ausgangselement. Erst später kommt die Erkenntnis, dass die erste Kernspaltung stattgefunden hat. Seit diesem Tag vor gut 80 Jahren ist die Kernkraft in der Welt, ein Durchbruch in der Wissenschaft, der auch die internationale Politik verändert.

An diesem Tag rätselt aber Hahn noch über das Ergebnis. Er schreibt seiner langjährigen Mitarbeiterin, der Physikerin Lise Meitner, die wegen ihrer jüdischen Herkunft kurz zuvor von Berlin nach Stockholm fliehen musste. Hahn berichtet selbst kurz nach dem Experiment in der Zeitschrift Naturwissenschaften von dem Versuch, doch die physikalisch-theoretische Erklärung liefert Meitner gemeinsam mit ihrem Neffen Otto Frisch am 11. Februar 1939 in Nature: Durch den Beschuss war das Uran in Elemente zerfallen, die in der Summe leichter waren als der Ausgangsstoff. Einsteins Formel E=mc² hilft bei der Erklärung - grundsätzlich wird bei der Spaltung Energie freigesetzt, wie viel, das variiert nach Faktoren wie der Bindungsenergie der Atomkerne.

Relativ schnell macht die Neuigkeit in der Fachwelt die Runde. Der dänische Physiker Niels Bohr reist am 16. Januar 1939 in die USA. Er trifft Albert Einstein und diskutiert mit ihm die Kernspaltung. Einstein, seit 1933 im amerikanischen Exil, ahnt, was diese Entdeckung bedeuten könnte. In einem Schreiben an den amerikanischen Präsidenten Franklin D. Roosevelt weist er auf das Potenzial der Kernspaltung hin: "Die letzten Arbeiten von E. Fermi und L. S. Szilard ... ermöglichen mir die Annahme, dass das chemische Element Uran ... eine sehr wichtige Energiequelle werden könnte ... In den letzten vier Monaten ist die Möglichkeit, mit einer kleinen Menge Uran eine nukleare Kettenreaktion auszulösen, näher gerückt. Mit einer solchen Reaktion würden große Mengen an Energie ... freigesetzt ... Dieses neue Phänomen würde zum Bau von Bomben genutzt werden."

In der Tat beginnt ein Wettlauf: In den USA arbeitet das Manhattan Project unter Robert Oppenheimer an einer Atombombe, in Deutschland experimentieren Gruppen um Werner Heisenberg und Kurt Diebner. Der Krieg in Europa ist aber schon zu Ende, als am 16. Juli 1945 mit dem Trinity-Test in der Wüste von New Mexico die erste Kernwaffenexplosion gelingt. Nur wenige Wochen später werfen die Amerikaner zwei Atombomben auf Japan ab - der erste und bislang letzte Einsatz solcher Waffen. Doch in der internationalen Politik bleiben sie von Bedeutung. Im Kalten Krieg rüsten die beiden Großmächte USA und UdSSR mit Atomwaffen auf, es ist ein gefährliches Kräftemessen. Zugleich beginnen viele Länder, ungeachtet der ungelösten Entsorgungsproblematik des Atommülls, ihren Strombedarf mit Kernenergie zu decken.

Otto Hahn erhält für seine Entdeckung 1944, noch während der Zweite Weltkrieg tobt, den Nobelpreis. Die Physikerin Lise Meitner wird nominiert, geht aber leer aus. Die Tagungen in Lindau besuchen später beide. Von hier aus geht auch mit Unterschrift des Entdeckers 1955 der Appell in die Welt, auf Atomwaffen zu verzichten.

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Quelle:
SZ vom 05.07.2019
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