Süddeutsche Zeitung

Zwischen den Zahlen:Home, loud home

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Zu Hause kann man ruhig und konzentriert arbeiten? Irrtum! Die wichtigste physikalische Erkenntnis im fünften Stock eines Münchner Wohnhauses bei meist geöffnetem Fenster: Lärm steigt nach oben. Ein Hörbild aus dem Home-Office.

Von Harald Freiberger

Ist es so, dass die Ohren des Menschen mit zunehmendem Alter empfindlicher werden? Oder nicht doch so, dass die Welt mit zunehmendem Alter mehr Lärm macht? Die Frage stellt man sich nach fünf Monaten im Home-Office in der Straße einer Münchner Wohngegend, die alles bietet, was der Mensch braucht: einen Supermarkt, einen Metzger, zwei Bäcker, einen Dönerladen. In diesem Frühjahr und Sommer bot die Gegend zudem das, was der Mensch nicht braucht: eine wegen Arbeiten am Fernwärmenetz aufgerissene Straße und einen neu gepflasterten Hof. Wichtigste physikalische Erkenntnis im fünften Stock bei meist geöffnetem Fenster: Lärm steigt, anders als Kälte, von unten nach oben.

Und hier die Hitliste der sechs unangenehmsten Geräusche im Home-Office. Platz 1: Das kreischende Zersägen von Asphalt durch eine überdimensionierte, fahrbare Kreissäge, begleitet vom Dröhnen ihres Dieselmotors. Platz 2: Das Rattern eines Presslufthammers beim Aufbrechen der Betondecke. Platz 3: Das dumpfe Stampfen einer Rüttelmaschine beim Plattwalzen des Pflasterbodens. Platz 4: Das Dröhnen des Motors eines fahrbaren Rasenmähers, der die schmale Grasfläche zwischen Parkplatz und Gehweg mäht. (Auf ihm sitzt ein Bediensteter mit Ohrenschutz. Als man ihn fragt, ob er keinen Rasenmäher mit E-Motor habe, nimmt er den Ohrenschutz kurz ab, schüttelt den Kopf und setzt ihn wieder auf.) Platz 5: Das schrille Kreischen der Stimmen juchzender Kleinkinder. (Unten ist ein kleiner Spielplatz). Platz 6: Das Schaben der Bürsten dieser einsitzigen, orangefarbenen, städtischen Kleinfahrzeuge, bei denen hinten immer ein Rechen und ein Besen in die Höhe ragen und die oft unvermittelt die Fahrtrichtung um 90 Grad wechseln.

Dabei steht der Herbst erst noch bevor. In der Straße gibt es auch Bäume, nur noch wenige Wochen, dann kommen die Laubbläser. Sie sind der Beweis dafür, dass es an der Welt liegt, nicht an den Ohren.

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Quelle:
SZ vom 29.08.2020
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