Süddeutsche Zeitung

Zuckerkonsum:Zuckerindustrie hat jahrzehntelang Forschung beeinflusst

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Zuckerhaltige Erfrischungsgetränke in Kanistern, Eiscreme in Zwei-Liter-Eimern und Schokokekse in der Familienpackung: Eine Abneigung gegen Zucker kann man den US-amerikanischen Konsumenten nicht gerade attestieren. Viele von ihnen haben ein geradezu idealisiertes Bild des Süßungsmittels.

Das kommt nicht von ungefähr, wie eine Untersuchung der University of California, San Francisco zeigt, die in der internationalen Medizinzeitschrift Journal of the American Medical Association veröffentlicht wurde. Demnach hat die Branche in den Sechzigerjahren ein Projekt in Auftrag gegeben, das nur ein Ziel hatte: Den Zusammenhang zwischen Zuckerkonsum und tödlichen Herzerkrankungen herunterzuspielen.

Der Untersuchung zufolge begann die Manipulation bereits im Jahr 1962. Damals wurde gerade eine Welle von Studien veröffentlicht, die Zucker alleinig für die Entstehung ebensolcher Herzerkrankungen verantwortlich machte. Die amerikanische Stiftung für Zuckerforschung, aus der später der amerikanische Verband der Zuckerindustrie hervorging, beschloss daraufhin, die öffentliche Meinungsbildung in eine neue Richtung zu lenken und der Forschung eigene Ergebnisse entgegenzusetzen, die das Gegenteil beweisen sollten, und rief das "Projekt 226" ins Leben.

Im Rahmen dieses Projekts wurde ein Überblicksartikel veröffentlicht, der den Zusammenhang zwischen Zuckerkonsum und Herzerkrankungen relativiert. Dafür flossen 50 000 Dollar an Forscher der Harvard University, dessen Vorsitzender eines Lehrstuhls gleichzeitig Mitglied der Stiftung war, die das Projekt in Auftrag gegeben hatte. Dass die Zucker-Stiftung der Auftraggeber der Untersuchung und somit des Artikels war, wurde nicht transparent gemacht.

Als Ursache für tödliche Herzerkrankungen führten die Autoren des Artikels Fette und Cholesterine an. Die Zuckerindustrie hat es so nicht nur geschafft, die negativen Implikationen eines übermäßigen Zuckerkonsums herunterzuspielen und Fett und Cholesterin als eigentliche Auslöser darzustellen - sie hat damit auch die künftige Richtung der Ernährungsforschung vorgegeben.

Zuckerverband spielt die neue Auswertung herunter

In ihrer nun veröffentlichten Untersuchung haben die Forscher aus San Francisco mehr als 300 Dokumente ausgewertet, die einen Zusammenhang zwischen dem amerikanischen Verband der Zuckerindustrie und mehreren Forschern herstellen, die in dessen Auftrag die betreffenden Studien durchgeführt haben.

Der amerikanische Verband der Zuckerindustrie hat in einem Statement zugegeben, dass eine "größere Transparenz in allen Forschungsaktivitäten nötig gewesen" sei, spielt darin aber gleichzeitig die eigene Rolle in der aktuellen Debatte herunter. Die Regeln zur Offenlegung der Finanzierung und die Transparenzstandards seien damals nicht vergleichbar mit den heutigen Richtlinien gewesen.

Der Verband wirft den Autoren darüber hinaus vor, durch die Studien nur der aktuellen Debatte zu dienen und dem Anti-Zucker-Trend nachzueifern - obwohl sich doch in den vergangenen Jahrzehnten gezeigt habe, dass Zucker keine einzigartige Rolle bei der Entstehung von Herzkrankheiten gespielt habe.

In einer früheren Version des Textes war die Rede von mehreren manipulierten Studien. Tatsächlich handelt es sich um einen größeren Review-Artikel, in dem diese Studien untersucht worden sind.

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