Süddeutsche Zeitung

Wohnraum:Enteignungen sind teurer Unfug

Lesezeit: 3 Min.

Wer Wohnungsgesellschaften enteignet, der verpfändet die Zukunft der Städte. Die Wohnungsnot lässt sich nicht gegen, sondern nur zusammen mit privaten Investoren lösen.

Kommentar von Nikolaus Piper

Nein, es wäre noch kein Sozialismus, würden die großen Wohnungsgesellschaften in Berlin enteignet und angemessen entschädigt. Wohl aber wäre es ein wirtschaftliches, soziales und politisches Desaster, würden sich die Initiatoren des Volksbegehrens "Deutsche Wohnen enteignen" durchsetzen und mit ihnen die Zehntausenden Demonstranten, die am Samstag gegen den "Mietenwahnsinn" auf die Straße gingen.

Die Steuerzahler der nicht besonders finanzstarken Bundeshauptstadt müssten, vorsichtig geschätzt, zwischen 20 und 30 Milliarden Euro aufbringen für einen dramatischen Akt, ohne dass damit eine einzige Wohnung gebaut oder etwas für die Stadtentwicklung getan wäre. Wahrscheinlich würde die ganze Aktion dem Wohnungsbau sogar schaden. Wer wird noch in Berlin investieren, wenn er damit rechnen muss, früher oder später enteignet zu werden? Die Stadt würde ihre Zukunft verpfänden, um 100 000 Haushalte vor Mieterhöhungen zu schützen. Viele dieser Haushalte gehören nicht einmal zu den bedürftigsten.

Das alles bedeutet nicht, dass die Mieten kein Problem wären, im Gegenteil. Die Wohnungsfrage ist in Deutschland die zentrale soziale Frage der Gegenwart. Steigende Mieten sorgen für Angst bei den Mietern und für die Entmischung von Quartieren. Für Mieter mit geringem Einkommen werden große Städte unwirtlich. Und in einem überhitzten Markt wie dem jetzigen kommt es dann auch immer wieder zu Missbrauch und Beutelschneiderei. Nur sind die Gewinne der Wohnungsgesellschaften nicht die Ursache, sondern die Folge des Problems. Das Problem ist eine fundamentale Knappheit in den Städten. Die Nachfrage nach Wohnraum steigt viel schneller als das Angebot. Und die Grundlage von allem, Grund und Boden, lässt sich überhaupt nicht vermehren. Einfache Lösungen gibt es nicht. Das macht das Thema anfällig für populistische Versuchungen. Hat man erst einmal einen Feind - in diesem Fall die Deutsche Wohnen -, dann erscheint alles ganz einfach.

Die Populisten (diesmal von links) haben auch deshalb leichtes Spiel, weil Wissenschaft, Politik und Medien das Entstehen dieser Knappheit zu spät wahrgenommen haben. Wäre es anders, hätte Berlin nicht um die Jahrtausendwende so viele städtische Wohnungen privatisiert. Damals zog man die falschen Schlüsse aus der Demografie: Die Deutschen werden weniger, also brauchen sie auch weniger Wohnraum. So dachten die meisten. Das Hauptproblem der Wohnungspolitik schien damals die Vitalisierung schrumpfender Städte in Ostdeutschland zu sein.

Heute weiß man es besser. Die Nachfrage nach Wohnraum steigt, weil immer mehr Menschen in Ein- oder Zweipersonenhaushalten leben. Sie steigt auch wegen der Zuwanderung nach Deutschland, vor allem aber wegen eines säkularen und globalen Trends zur Verstädterung. Bildung, Kultur, ärztliche Versorgung, gesellschaftliches Leben, sogar Wlan haben, besonders für junge Menschen, den relativen Vorteil der Stadt gegenüber dem Land dramatisch erhöht. Und es ist bisher nicht zu erkennen, wie der Trend umzukehren wäre. Allein 2017 stieg die Einwohnerzahl Berlins um 38 000.

Es wäre auch an der Zeit, die Besteuerung des Bodens zu reformieren

Diese Knappheit verschwindet nicht durch Enteignungen. Auch die Parole von Horst Seehofer ("Bauen, bauen, bauen") hilft nur bedingt. Es kommt nicht nur darauf an, dass, sondern auch wie gebaut wird, damit die Städte angesichts des rasanten Wachstums noch lebens- und liebenswert bleiben. Widersprüche müssen gelöst werden, zwischen Erhaltung eines Quartiers und notwendiger Verdichtung. Oder, wie derzeit im Münchner Nordosten, zwischen Wohnungsbau und dem letzten stadtnahen Grün. Es gibt auch viele Instrumente, die der Staat zugunsten preisgünstigen Wohnraums einsetzen kann: Belebung des sozialen Wohnungsbaus, Abbau von überflüssigen Vorschriften, Deals mit privaten Investoren, die sich verpflichten, einen Teil der Wohnungen für Bedürftige zu bauen. Es wäre auch an der Zeit, die Besteuerung des Bodens zu reformieren. Die bauherrenfeindliche Grunderwerbsteuer gehört abgeschafft und durch eine Bodenwertzuwachssteuer ersetzt. Der Entwurf von Finanzminister Olaf Scholz zu der vom Verfassungsgericht erzwungenen Reform der Grundsteuer behandelt das Problem noch nicht.

Schließlich wäre es an der Zeit, damit aufzuhören, private Gewinne aus der Wohnungswirtschaft zu verteufeln. Das Wohnungsproblem lässt sich nur mit privaten Investoren lösen. Welchen Sinn hat es, sie abzuschrecken? Nicht ohne Ironie ist es, angesichts der Erblast dieser Partei, dass sich ausgerechnet die Linke beim Thema Enteignung so hervortut. Die alte DDR hat Zeit ihrer Existenz mit der Wohnungsfrage gekämpft. Sie löste sie auf ihre Weise: Niedrige Mieten wurden erkauft mit schlechter Neubauqualität und dem Verfall der Altbausubstanz. Genau das könnte die Folge sein, hätte das Volksbegehren Erfolg. Vielleicht sollte man in dem Zusammenhang doch von Sozialismus reden.

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Quelle:
SZ vom 10.04.2019
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